aus der Reihe “Der Junge”:
2. Teil: Die Ostsee – Paradies, Untergang und das Wiederauftauchen in die Schönheit des Selbstseins. Bejahung der Angst
(Erweitertes Exzerpt aus dem dreiteiligen Video “Sören Kierkegaard, Post-Existenzphilosophie und Tiefenwahrheit”)
Text-Version
Abschnitt I: (0:47)
Der Traum von der schönen Lebendigkeit und die Realität der Fäulnis – Diskrepanz
(aus Stunde der Tiefenwahrheit vom 26.5.2011)
Weißt du, wie oft ich davon geträumt habe? (Weinen) Dieses Bild: daß ich durch diesen Hügel da gehe, wo der Weg da durch diese Düne führt, da diese kleine Böschung runter, diese Holztreppe, und dann das Meer vor mir – weißt du, wie oft ich das geträumt habe! Also richtig nachts… Ich habe so oft dieses Bild geträumt, so oft… Immer wieder… Ganz oft. Dieses Bild, diese Ostsee, dieser Wall…
Das ist so nah beieinander: diese Lebensfreude, diese Beweglichkeit [einerseits]… – Wir haben da Fußball gespielt im Sand, weißt du, da mußt du dich ja richtig bewegen… Da haben wir so oft gespielt… Und in dem Sand so herumspringen und landen… Hochspringen und dann im Sand landen – wie oft ich das gemacht habe! Das war so lebendig alles… So eine Lebendigkeit! Und dann [andererseits] aber das genaue Gegenteil schlagartig! – Das ist so eine Diskrepanz! Das ist Wahnsinn. Aber da liegt der Hund begraben.
Es ging mir so scheiße die letzten zwei Tage: diese Passivität! Weißt du, jetzt weiß ich ja, was es alles ist, diese Scheiß-Passivität: Ich bin genau so scheiß-passiv wie dort, wie das dort an dem Strand da war! Diese Scheiß-Passivität, weißt du, das ist so eklig! (Wut) So eine Fäulnis – das ist eine Fäulnis! Das ist ein Scheiß ist das! Ich weiß genau, daß ich [später] wieder irgendeinen Scheiß tue – ich weiß es! Scheißdreck! Ich sehe mich vor mir: dieser arme kleine Junge, der dann plötzlich so… – so passiv wird, so leblos. Ich sehe es ja vor mir, ich weiß das ja. Und so bin ich heute. Scheißdreck!
Abschnitt II: (3:13)
Das Anerkennen der Angst
(aus Stunde der Tiefenwahrheit vom 25.6.2013)
Es kotzt mich an, diese Lage! Ich kann nur sagen: Ich habe Angst! Ich habe Angst! Das kotzt mich…, ich kann nur sagen… (Weinen)
Dann fallen mir solche dann ein, so… – Ich war jetzt an der Ostsee zwei Tage, und da sitzen wir an so einem Hafen, und da fiel mir das mit dem Schiff [nach Hiddensee] wieder ein, wo ich diese Riesen-Angst hatte, daß das Schiff untergeht – und die haben nur gelacht über mich.
Dann fiel mir das ein, was es überhaupt bedeutet: überhaupt irgendwas zu fühlen, überhaupt da zu sein, lebendig zu sein! Und dann wird so was übergangen! Da habe ich mir das so richtig konkret vorgestellt nochmal, weißt du. Bis dahin fühlt das Kind noch irgendwas – Angst zum Beispiel. Wenigstens fühlt es Angst! So, und wenn es dann… – dann machen die sich lustig, lachen. Und da habe ich mir richtig vorgestellt: Na wie habe ich denn danach weitergelebt? Wie konnte ich denn dann weiterleben überhaupt? (Weinen, Röcheln)
Da habe ich mir überlegt: Na ja, was war denn da ganz genau danach? Bin ich dann vom Boot runter an Land gegangen? – Da muß ich doch ein anderer Mensch gewesen sein danach dann! Wie habe ich denn weitergelebt ganz alleine? Ich war ganz alleine! Ich muß doch so fertig gewesen sein und… – Wie habe ich denn dann überhaupt wieder mich öffnen können der Welt oder wieder Spaß haben können? [Haste ehmt nich!]
Ich kann nur total eingeschüchtert danach gewesen sein oder verunsichert oder so was ähnliches. Was ist denn das für ein Leben danach dann, wenn man so behandelt wird oder…? Es ist doch auch kein Wunder, daß man dann irgendwann mal überhaupt nicht mehr weiß, was man will. [Genau.]
Abschnitt III: (5:32)
Das Wundern über die Lebendigkeit in Form von Angst
(aus Stunde der Tiefenwahrheit vom 6.9.2013)
Letztens war ich wieder bei meinen Eltern draußen, und da fangen die an, von dem Vorkommnis zu sprechen, wo ich diese Angst gehabt habe als kleines Kind auf dem Schiff. Da fangen die von sich aus an, davon zu erzählen! Und lachen beide!
Na die haben da keine Sensibilität für so was, das finden die normal. Das ist ganz normal so – die lachen darüber!
Na jedenfalls habe ich dann, habe ich dann… (Weinen, Röcheln, Ausatmen) Na ich lasse mir dann nichts anmerken, ich gehe dann auf gar nichts ein; ich könnte da niemals irgendwas dazu sagen. Ich sage dann gar nichts und warte ab, bis es vorbei ist. Aber mich trifft das natürlich schon.
In dem Moment… – dann beschreiben die das jedesmal, lachen sich tot drüber, daß ich mich so auf dem Schiff so auf den Boden geschmissen habe mit dem Bauch so. Ich kann genau nachvollziehen, warum ich das gemacht habe: weil das die größte Fläche…, da brauche ich am wenigsten Angst zu haben, weil das alles so hoch und runter geht und alles wackelt und nichts ist sicher – und deswegen habe ich ja Angst gehabt.
Anläßlich dessen – also daß sich meine Eltern lustig machen über mich oder mich auslachen –, da merke ich, daß ich bis dahin noch was gefühlt habe oder noch was gemerkt habe. Es war zwar Angst, aber ich bin noch – sagen wir mal – heiß oder so: warm! Ich schmeiße mich da hin, ich heule – und danach war das gar nicht mehr möglich!
Ich habe mich zwar immer so daran erinnern können mein ganzes Leben lang – ich habe immer gewußt, daß… – Na gut, das lag vielleicht auch daran, daß sich regelmäßig meine Eltern darüber amüsiert haben wahrscheinlich mein ganzes Leben lang – später immer noch. Aber die Bedeutung dessen habe ich eigentlich nie so richtig… – begreife ich jetzt erst langsam: welche Bedeutung das eigentlich für mich hat.
Vielleicht hängt das ja alles damit zusammen, daß ich heute immer noch so von meinen Gefühlen entfremdet bin oder von meiner Lebendigkeit. Vielleicht wäre das jetzt nicht so, wenn ich mein Leben früher lebendiger hätte bleiben können? Und dazu zählt ja vielleicht, daß ich Eltern gehabt hätte… (Weinen), bei denen ich sozusagen lebendiger hätte bleiben können von Anfang an gleich. Vielleicht…, wenn meine Eltern auf dem Boot zum Beispiel mich zu sich genommen hätten oder in den Arm genommen hätten und mir die Angst genommen hätten oder so, dann wäre ich vielleicht ja lebendiger geblieben oder so.
Ich bin zwar noch da, aber ich habe jegliche Verbindung zu Lebendigkeit und Austausch – Gefühle – mit anderen Menschen völlig eingestellt.
Abschnitt IV: (9:55)
Begeisterungsfähigkeit und Selbstannahme
(aus Stunde der Tiefenwahrheit vom 14.9.2013)
Ich sehe das Gesicht meines Vaters irgendwie… Ja, mein Vater hätte zu mir hinkommen müssen und hätte mich aufheben müssen. Weißt du… (Weinen), von dem Schiff da, irgendwie von dem Boden… Er hätte mich aufheben müssen, er hätte mich in den Arm nehmen müssen, hätte mich trösten müssen, hätte mich liebkosen müssen – alles das hätte er machen müssen, um…, damit ich wieder normal werde, damit ich ich selber weiter sein kann. Ja, ja, ja… (Weinen, Röcheln, Ausatmen, Verschmerzen)
Deswegen habe ich ja auch mal gesagt, daß ich in dem Moment auf dem Schiff noch ich selber war. Ich hab mich ja immer irgendwie bewundert dafür: “Mann, Peter, wow! Geil!, daß du da noch so richtig abgehen konntest, so richtig Angst haben konntest! So richtig schreien konntest!” Das fand ich immer gut! Find’ ich geil!: daß ich da noch richtig da war und noch reagieren konnte und vor allem aus mir selber – Scheißdreck! – rausgehen konnte! Diese ganze Sache, die sich daran wieder anschließt, dieses Fußball-, Opern-, Begeisterung – einfach nur… ah! (Schreien), einfach nur aus sich rausgehen! Und das konnte ich da noch auf dem Schiff! Deswegen fand ich das ja immer irgendwie geil!
Aber dann kann sozusagen der definitive Schlag ins Genick. Ab dem Moment habe ich alle meine ganze Begeisterungsfähigkeit oder daß ich überhaupt aus mir herausgehen kann, das habe ich dann definitiv verloren in dem Moment. Ab dem Moment war ich nur noch ein stilles, totes…, ein stiller, toter Junge. Ja.
Ich sehe auch ziemlich deutlich dieses Schiff vor mir und diesen Schiffsraum, wo ich da drin bin. Und ich sehe auch das Gesicht meines Vaters: daß dem das richtig peinlich ist. Und der hätte doch so eine Macht über mich haben können im positiven Sinne! Der hätte so…, der hätte das alles so leicht hinkriegen können! Der hätte mich doch nur nehmen brauchen. Der hätte mich doch nur aufheben brauchen, mich auf seinen Schoß setzen, einfach gut zusprechen, den Arm um mich legen [brauchen] – und mehr nicht!
Jetzt habe ich wieder dieses Fremdheits-[Gefühl], weißt du. Und langsam begreife ich ja auch, woher dieses Fremdheitsgefühl kommt: nämlich daher, daß er das nicht getan hat. Ab dem Moment bin ich mir selber fremd geworden. Deswegen entwickle ich jetzt – genau jetzt – auch dieses Fremdheitsgefühl wieder: daß ich sehe, daß es mich nicht gibt und: Wer bin ich denn? Ich bin niemand!
Einmal bin ich der Junge selber, der da unten liegt am Schiffsboden: der noch Gefühle hat. Und dann, im nächsten Atemzug, meldet sich eine andere Person zu Wort oder schiebt sich in den Vordergrund, die sich nur noch fremd fühlt: die überhaupt nicht überzeugt davon ist, daß es sie gibt – ganz im Gegenteil: die davon überzeugt ist, daß es sie nicht gibt.
Mich gibt es nicht. Es gibt keinen Jungen namens Peter. (Weinhecheln, langsames Sprechen) Den gibt es nicht mehr.
Ja, aber immerhin [spreche ich jetzt darüber usw.] – stimmt’s?
Wahrheitsbegleiter: Ja.
Immerhin! – Stimmt’s?
Jetzt kann ich es irgendwie annehmen, so mit dir zusammen zu sein – jetzt kann ich dich fragen, ob es stimmt, und du sagst: “Ja, es stimmt.” Und dann kann ich das annehmen [daß es mich gibt]. Aber erst jetzt komischerweise. Jetzt kann ich es von dir annehmen oder will es sogar annehmen oder will es sogar hören!
Dann frage ich, ob’s stimmt… (Weinhecheln, langsames Sprechen), und dann sagst du: “Ja, es stimmt.” (Weinhecheln, langsames Sprechen) Und das kann ich dann annehmen. Und das will ich dann auch annehmen. (Weinen, Röcheln, Ausatmen)
Und das höre ich dann gern. Das will ich dann auch so annehmen. (Weinen) Das klingt dann so gut in meinen Ohren. Das höre ich so gern, ich liebe das so sehr, wenn ich dich so fragen darf und du dann mir antwortest. Ja.
Und so machen wir dann so langsam – Schritt für Schritt – Fortschritte, stimmt’s?
Wahrheitsbegleiter: Ja, so machen wir das, Peter, genau.
Ja, damit der kleine Junge irgendwann wieder zu sich kommt wie er gewesen ist, als er da noch sich hingeschmissen hat und rumgeschrien hat.
Und alles andere ist diese Fremdheit! Alles andere ist diese Fremdheit oder diese Nicht-Existenz und dieser Tod und dieses Nicht-Wissen, was ich will, wer ich bin – das ist die andere Seite.
Aber kannst du das verstehen, daß mir das so gefällt? (Weinen) Das finde ich so schön und gut! (Weinen)
Ja. Und daß ich so traurig darüber bin, liegt ja nur daran, daß es für mich niemanden so gegeben hat in dem Moment damals, stimmt’s?
Wahrheitsbegleiter: Das stimmt genau, Peter, ja, das ist es.
Das macht mich so traurig, obwohl es ja so schön ist. Es ist ja so schön. Das klingt so schön in meinen Ohren. Ich höre das so gern.
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