Einführung 4. Teil – Anregungen


Zwei Beispiele für eine Sinngebung 

Im vorangegangen Teil unserer Einführung in die Theorie der Tiefenwahrheit sagten wir, daß die Praxis der Tiefenwahrheit bedingungslos und zwecklos ist und nur auf dem unbedingten Willen zur Wahrheit gründet. Welchen Sinn der Kunde dem ganzen verleiht und welches Ziel er damit verfolgt, d.h. also, warum er überhaupt Stunden der Tiefenwahrheit nimmt, das, so sagten wir, sei nur seine Angelegenheit. 

Wir sagten des weiteren, daß, die tiefe Wahrheit auszusprechen und sich in die mit ihr verbundenen tiefen Gefühle gehen zu lassen, bestimmte Wirkungen haben und möglicherweise auch Auswirkungen auf das Leben des Kunden jenseits der Tiefenwahrsagerei haben kann. Diese Wirkung könne, so schlossen wir, dann auch der Tiefenwahrsagerei einen Sinn geben. 

Tiefenwahrheit - Anregungen

Bevor wir zu möglichen Wirkungen und dem sich aus diesen vielleicht ergebenden Sinn kommen, wollen wir noch einmal betonen, daß der Sinn zwar ganz sicherlich die allergrößte Bedeutung in einem Leben hat, daß dies aber weder Teil unseres Angebotes ist, noch wir empfehlen, zu schnell die Sinnfrage zu stellen, sondern unser Angebot zu beherzigen, das da lautet: bedingungsloses Aussprechen der tiefen Wahrheit. Warum diese Bedingungslosigkeit so wichtig ist, dazu später. 

Eine der möglichen Wirkungen, die die Tiefenwahrsagerei entfalten kann und die das Publikum am ehesten nachvollziehen kann, ist die einer größeren Ausgeglichenheit. Es liegt auf der Hand, daß, wer in einer Lüge lebt, ständig damit zu tun hat, daß diese Lüge nicht auffliegt. Das bedeutet fast rund um die Uhr Streß und Spannung. 

Wer in seiner Wahrheit lebt, der ruht in sich, ist tiefenentspannt und ein sehr umgänglicher Zeitgenosse. Einer der größten Unterschiede zwischen einem Tiefenentspannten und einem Normalo ist, daß letzterer ständig über irgendwas streiten und symbolische Gefechte austragen muß. Der Normalo will dir ein Ohr nach dem anderen abkauen, er meint immer etwas ganz anderes, als er sagt, aber das weiß er nicht. Man möchte ihn ständig fragen: „Und was willst du jetzt damit sagen?“

Auf der anderen Seite kann Wahrheit – und auch das wird gut nachzuvollziehen sein – auch für „positiven Streß“ sorgen, d.h. für Belebung. Und da Lebendigkeit immer eine sinnliche Sache ist, erfolgt daraus auch unmittelbar Sinngebung. 

Die Flachheit von Wahrheit und die Gefühllosigkeit treibt den modernen Menschen in allerhand Erlebnisveranstaltungen, wo er Sinn sucht. Für die einen ist die letzte Bastion des Mutes und des Aufs-Ganze-Gehens z.B. Bungee Jumping. Dort erlebt und fühlt man endlich mal wieder etwas. Andere träumen davon, in einem Fight Club mitzumachen, belassen es dann aber beim Traum und schauen sich lieber den entsprechenden Film an. Viele schauen sich überhaupt nur Filme an, fast ihr ganzes Erleben ziehen sie aus diesen. In der Tat können Filme sehr inspirierend sein; in der Tiefenwahrsagerei werden sie zum Anlaß genommen, tief in den eigenen „Film“ einzusteigen. 

Tiefenwahrheit - Anregungen

Kaum jemand hält das Ergründen der Wahrheit und das Anerkennen der tiefen Wahrheit und vor allem das Leben in und nach der tiefen Wahrheit für mutig. Wir ändern das jetzt: Das Institut für Tiefenwahrheit hält gewissermaßen eine Art Bungee Jumping für die Seele parat, wo man sich in die Tiefe seines Unbewußten fallen lassen kann, das im Tal beginnt, sich in Bewusstsein umzuwandeln, welcher Prozeß abgeschlossen wird, wenn wir wieder zurück nach oben schnipsen. Wir werden auch Tiefenwahrheits-Gruppen anbieten, wo die Teilnehmer verbal und emotional voll aufeinander losgehen können. Nur die Handgreiflichkeit muß leider ausfallen. Aber Ihr werdet sehen, daß es hart genug zur Sache geht auch ohne sich physisch zu schlagen. Es werden Stoffpuppen und sog. Billies zur Verfügung stehen, an denen man sich – mit Blick auf den Gegner – austoben kann. Die Gewalt kann (und wird voraussichtlich) weitere Emotionen nach sich ziehen, die noch mehr an Intensität bereithalten; da werden die Jungs vom Fight Club nicht mithalten können. 

Das soeben Geschilderte wäre also ein möglicher Sinn von Einzel- oder Gruppen-Sitzungen in der Tiefenwahrheit: das Erlebnis, das Erleben, das Gehen bis auf den Grund und bis an die Grenzen. Warum immer im Äußeren danach suchen? Warum nicht auch mal im Inneren?

Mögliche weitere Kandidaten für Tiefenwahrheit könnten Menschen sein, die in einer gänzlich anderen Verfassung als die erstgenannten sind, ja, die überhaupt keine Wahrheit über sich haben, die sie vertiefen oder ausdrücken könnten, die also ziemlich verloren sind. Diese Menschen wissen eigentlich nicht, was sie wollen, warum sie überhaupt leben und was sie mit ihrem Leben anstellen sollen. 

Sie werden mit Sicherheit auch nicht wissen, was sie mit einem Besuch in der Tiefenwahrsagerei bezwecken, obwohl ihnen ihr Bauch sagt, daß sie es tun sollten. Diese Menschen entscheiden sich vielleicht z.B. aus dem Gefühl heraus, daß die Wahrheit, die sie über sich nicht haben, verloren gegangen ist: eine Wahrheit, die sie vielleicht einmal gehabt haben und wiederfinden möchten. Oder es hatte tatsächlich nie eine Wahrheit gegeben, aber diese Kandidaten betrachten es aber – einen kleinen Rest Wahrheit und Lebenswille scheinen sie zu haben – als nicht normal, keine Wahrheit zu haben, und möchten sich endlich eine zulegen. 

Es gibt sehr viele Menschen, die nicht wissen, wer sie sind und wie sie leben sollen. Die brauchen möglicherweise eine Inspiration. Und es sind diese Menschen, an die wir dachten, als wir davon sprachen, daß wir Anregungen geben werden dahingehend, einen möglichen Sinn in der Unternehmung Tiefenwahrheit zu finden. Diesen Menschen sollte gesagt werden, wozu Tiefenwahrheit gut sein kann, und was man davon haben könnte, Stunden der Wahrheit zu nehmen.  

Auch diese – ziemlich verlorenen – Menschen sollten sich an die Instituts-Prämisse halten, die da lautet: sich bedingungslos und ergebnisoffen auf die Tiefenwahrheit einlassen. Das heißt im Falle dieser Menschen, tatsächlich nichts anderes zu tun, als ganz und gar ihre Verlorenheit zur Kenntnis zu nehmen und dabei ihre innere Sinne einzuschalten, mit denen sie sich und ihren Körper nach Regungen abtasten. Sie werden auf jeden Fall Regungen haben (sonst wären sie nicht in die Tiefenwahrsagerei gekommen), ganz wenige und leise womöglich, aber es werden welche da sein. Das können Regungen der Trauer, der Verzweiflung und auch der Erschöpfung sein. Aber sie werden Wünsche oder Bedürfnisse verspüren. Und damit beginnt schon einmal der Prozeß des Entdeckens oder Wiederentdeckens ihrer lebendigen Person und dessen, was diese Person will. Vielleicht will sie erst einmal nur erschöpft sein, nur eine Art Erholung haben. Wovon, interessiert uns nicht weiter – diese Wahrheit wird sich später herausstellen –, sondern wir lassen diese Person sich einfach erholen. 

Institut für Tiefenwahrheit

Der Depressoide wird leider nicht zu unseren Kunden zählen, weil er nichts erst gar nicht versucht.

Das schlimme ist, wenn man gar nichts mehr will und sagt, man könne doch sowieso nichts dran ändern. Diese Haltung ist eine Lehre, die der Depressoide aus einem Erlebten gezogen hat: Es war einmal tatsächlich nichts mehr zu ändern. Wenn man aber diese Lehre bei allem Bewußtsein als Wahrheit immer wieder ausspricht – im Wechsel mit den Erschöpfungszuständen –, dann verliert diese Lehre immer mehr an Kraft. Es gilt, dieser Falle zu entkommen und nicht zum „Saboteur meiner Depression“ zu werden („Ich bin der Saboteur meiner Depression“, dctp-Doku von Hans Magnus Enzensberger, Spiegel-TV, Nov. 2014). Wir sabotieren die Depression nicht, sondern wir bejahen sie im Sinne einer Anerkennung, wir nehmen sie durchaus als nicht veränderlich wahr, wir lassen uns bewußt in sie hineinfallen für eine Stunde, nehmen alles genau wahr, auch die nicht-depressiven Regungen (Reste von Empörung gegen die Nicht-Veränderlichkeit usw.). Wir werden Videos von Tiefenwahrsagestunden zeigen, wo dieser Mechanismus anschaulich dargestellt sein wird. 

Wenn die Person einfach nur verzweifelt ist, dann ist das so, dann ist das die Wahrheit, in die wir hineingehen. Je mehr sie von dieser Verzweiflung fühlt, desto mehr und schneller kommen Gefühle als Antwort auf die Verzweiflung, die da sein könnten: Ansätze von Wut, Traurigkeit – und wieder Erschöpfung. Wie schlimm die Verzweiflung auch immer ist: sie wird nicht das letzte Wort sein; es werden sich andere Gefühle regen: diese Art lebendiger Kern der Person wird vorhanden sein, sonst würde sie nicht in die Tiefenwahrsagerei kommen. Dieser lebendige Kern wird aber nur mobilisiert werden, wenn die Wahrheit ausgesprochen und anerkannt wird. Daran müssen wir immer wieder erinnern. Wir reden nicht darüber, was sein sollte oder könnte, sondern bleiben im Hier und Jetzt, achten auf unsere Gefühle (oder die Abwesenheit von Gefühlen, was auch ein Gefühl, zumindest sinnlich wahrnehmbar ist) und lassen diese zu. 

Natürlich soll der Kandidat seiner Sehnsucht nach Normalität nachgeben, soll er sich sehnen nach einer Beendigung seines lamentablen Zustandes. Da wären wir dann schon mitten drin in der tiefen Wahrheit.

Eine zu erwartende Wirkung und damit ein Ziel der Tiefenwahrheit könnte darin liegen, daß sich durch Eingestehen und Klarmachen der Wahrheit und durch den Einstig in die emotionale Tiefe der Lebenswille herauskristallisiert; er beginnt sich zu verstärken und kann regelrecht in eine Lebenswut umschlagen. Das Sich-am-Leben-Fühlen und die Lebendigkeit können zum Lebensselbstzweck, also zum Sinn des Lebens, werden; der Begriff „Genuß des Lebens“ wäre hier verkehrt, weil zu schwach. Aber das ergibt sich erst im Verlaufe der Verwahrheitung, wird schlecht ein Einstiegsmotiv sein.  

Dies und soweit also zum Thema „Welche Auswirkungen und – damit – welchen Sinn könnte die Tiefenwahrsagerei auf mich bzw. für mich haben?“ Wir haben dafür zwei extreme Beispiele genommen; zwischen diesen Polen gibt es unendlich viele Möglichkeiten an menschlichen Schicksalen.

Interessant könnte es werden, wenn ein Kandidat, der nur verloren ist und sich wiederfinden möchte, in einer Tiefenwahrheitsgruppe auf einen Fight-Club-Fan stößt. Der Fightclubberer könnte das Bedürfnis entwickeln, sich eines Verlorenen anzunehmen und eine zarte Seele zu beschützen. Oder ähnliches, wer weiß. 

Noch mehr Inspirationen seitens unseres Institutes, wozu Sitzungen in Tiefenwahrheit gut sein können, gibt es auch auf den nachfolgenden Seiten. Die Stunden der Wahrheit können aber nur dann zu etwas gut sein, wenn – und das ist unsere einzig wirkliche Empfehlung – der  Wahrheit bedingungslos nachgegangen wird. 

 

 

 

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