Text-Vorwort zur Video-Reihe “Dugin Heimat”


Text-Vorwort zur Video-Reihe Rekonstitution und Radikalisierung des nihilisierten Subjekts. Das Entstehen von Zugehörigkeit – die Entdeckung der Heimat. Zu Alexander Dugin: >Eurasische Mission< (Arktos London 2022), mit einem Vorwort ‘Das Radikale Subjekt als Katechon’ von Peter Töpfer” (Kurztitel der Video-Reihe: “Dugin Heimat”)

In meinem Vorwort zu Alexander Dugins Buch “Eurasische Mission” (deutsche Ausgabe, Arktos 2022) widerspreche ich Dugin und kündige zur weiteren Erklärung meines Widerspruchs ein Video zur “Rekonstitution des nihilisierten Subjekts und dessen authentische Rückverbindung auf der…” – und jetzt zitiere ich Dugin, mich mithin mit ihm durchaus gemein machend –: “…>grundlegendsten, vegetativen Ebene der Seele mit dem für eine tiefe Identität heiligen Boden<“ an.

Mit “grundlegendsten, vegetativen Ebene der Seele” bin ich sehr einverstanden. Erst auf dieser Ebene wird das erreicht, was Hölderlin die “Übereinstimmung” (mit sich selbst), Stirner den “Einzigen” und Dugin die “tiefe Identität” nennt: die unentfremdete Person. “Vegetativ” bezeichnet dabei den Umstand, daß die Person in etwas wurzelt und ihre Grundlage hat, was diesseits von Ideen liegt, und daß die vorliegende Problematik also eine trans-ideelle und trans-intellektuelle Herangehensweise verlangt.

Wilhelm Reich nannte eine Zeitlang sein Verfahrung zur Beseitigung der Entfremdung “Vegetotherapie” – woraus auch die somatisch-medizinisch Implikation der Sache spricht. Trotzdem knüpft die Tiefenwahrheit eher an seine “Charakteranalyse” an. Mit der “Vegetotherapie” begab sich Reich auf einen physikalistischen Holzweg, der, so traurig das ist und paradox das erscheinen mag, auch nicht mehr viel im Somatischen bewirkte.

Meine Teilkritik an Dugin nun bezieht sich auf den letzten Begriff dieses Zitates: “der heilige Boden”. In diesem sah ich eine Verkürzung, eine Mystifizierung und einen Widerspruch zur “grundlegendsten, vegetativen Ebene der Seele”, da mir “vegetativ” und “heilig” widersprüchlich erschienen.

Die “tiefe Identität”, die auch ich anstrebe, werde – so schreibe ich in meinem Vorwort – “unabhängig davon, in welche Landschaft [die Subjekte] geraten sind, am Boden der Seelen” konstituiert.

Im folgenden möchte ich meine Kritik näher erklären, aber auch relativieren und korrigieren:

Zunächst bejahe ich durchaus das Heilige. Ganz offensichtlich durchstößt das Heilige bereits das Nur-Ideelle in das Vegetativ-Emotionelle hinab; ich bejahe es als Durchgang zu etwas Tieferem und Grundlegenderem.

In dem im Vorwort angekündigten Video – das sich inzwischen zu einer Reihe mehrerer Videos bzw. angereicherter Audios ausgeweitet hat – werden Rückverbindungs-, Verortungs- und identitätsstiftende geist-seelisch-gefühlsmäßige Vertiefungsprozesse abgebildet. Ich gehe nämlich davon aus, daß die Heimatlosigkeit des modernen Menschen (des “liberalisierten und individualisierten” Menschen, würde Dugin hinzufügen) zum Teil wettgemacht werden kann. Wirtschaftliche, politische und militärische Krisen werden einerseits erheblich und schnell dafür sorgen. Aber andererseits können die Subjekte ihre “tiefe Identität” auch teilweise durch eine aktive und dynamische, Gefühle integrierende Innenschau zurückerlangen (was einen Verlust, eine Zerstörung der tiefen Identität voraussetzt), die ich “Stunden der Tiefenwahrheit” nenne, und zwar unabhängig von der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Situation – nur aus dem heraus, was Dugin die “Unzufriedenheit” nennt. Die Folgen der äußeren Krise und die Folgen der inneren Zufriedenheit samt dynamisch-emotionaler Innenschau sind sich sehr ähnlich: in beiden Fällen klappern die Zähne.

Die Rückbindung des atomisierten modernen Menschen erfolgt in der Tiefenwahrheit nicht auf ideologischer Grundlage oder durch Konditionierung, sondern aus einem erlebten Entdecken des authentisch Gemeinschaftlichen im Innersten des Menschen selbst. (Dabei wird in der Video-Reihe fast nur auf die dafür relevanten Aspekte eingegangen; etliche Aspekte, die ein Resultat der Ent-Bindung sind und deren Verschmerzung Bedingung für eine Wieder-Verbindung sind [z.B. Selbsthaß], bleiben aus Gründen der Konsumabiliät peripher.)

Dieses Wort “Unzufriedenheit” spielt bei Dugin eine zentrale Rolle und hat bei ihm eine tiefe Bedeutung – womit ich sehr einverstanden bin. Prominent wird sein “Manifest der Globalen Revolutionären Allianz” – abgedruckt im Buch “Eurasische Mission” – mit dem Motto “Unzufriedene auf der ganzen Welt, vereinigt euch!” eingeleitet. Die persönliche Unzufriedenheit ist der Ausgangspunkt aller Kritik und allen Veränderungswillens – sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene.

Das Wort “Identität” beinhaltet beides: das rein Individuelle – die Selbstwahrnehmung ungeachtet des Äußeren – und das in das Subjekt hereingenommene Kollektive, insbesondere die Kultur des Kollektivs. Es liegt auf der Hand, daß sowohl Bindung an eine Heimat und an eine Menschengruppe als auch das Selbstverständnis und die Selbstwahrnehmung eines Einzelnen eng miteinander zusammenhängen, ja, daß beide Identitäten sogar – wie Wilhelm Reich es sagen würde – “funktionell identisch” sind. 

kollektive und individuelle Identität
Abb. 1: Funktionelle Identität von kollektiver und individueller Identität


Im zweiten Teil dieser Serie (“Der Chor der Hertha-Fans. Ein Durchdringen in neun Anläufen und ein Résumé”) werden wir sehen, daß Ent-Grenzung (totale Ausdrucksfreiheit) nicht nur in keinem Widerspruch zur Be-Grenzung (konkrete, bestimmte Gruppe) steht, sondern mit dieser einhergeht; beide geschehen und entstehen erst miteinander, Frei-sein und Dazugehören bedingen sich gegenseitig (ähnlich der sexuellen Vereinigung).  

Die Identität stiftet sich laut Dugin ganz entscheidend – in manchen seiner Aussagen sogar ausschließlich – durch das Kollektive. Aber auch in bezug auf das Individuelle “zeigt” Dugin “einige Wege auf, die es zu erkunden gilt”. Ich möchte dieser Erkundigung kritisch-konstruktiv beistehen. 

Dugin schlägt für die Identitätsstiftung – im Unterschied zu mir – die “Selbsttranszendenz” vor. An anderer Stelle aber spricht er aber positiv von einer “radikalen Immanenz”. Darin liegt ein Widerspruch, den ich zugunsten der Immanenz auflösen möchte. 

Dugin sagt, daß es dem modernen Menschen an “der Dimension der existentiellen Tiefe fehlt”, aber eigentlich sei die “Essenz” des im Liberalismus lebenden Menschen eine “nihilistische”. Damit stimmt er mit Nietzsche überein, der diesbezüglich aber ebenfalls in einem Widerspruch zwischen extremistischer Transzendenz (“Übermensch”) und extremistischer Immanenz (“Blonde Bestie”) steckengeblieben ist und nicht den Ausgang und die Auflösung im beiden Zugrundeliegenden gefunden hat. 

Übermensch und Blonde Bestie
Abb. 2: Funktionelle Identität von Übermensch und Blonde Bestie

Um nun den Nihilismus zu überwinden (oder zu unterwinden – das ist die Frage!), schlägt Dugin “einen Schritt innerhalb der nihilistischen Natur des Individuums” und die “direkte Konfrontation mit dem Tod und die Entdeckung des Nichts” vor. 

Im Angesicht des Nichts, der inneren abgründigen Leere und Abgestorbenheit, des Quasi-Todes des Individuums, “erreicht”, so Dugin, “der Liberale die Selbstbestätigung als die einzigartige und ultimative Instanz des Seins. Dies ist die letzte Konsequenz des radikalsten Solipsismus und kann zu einer Implosion des Egos und dem Erscheinen des wahren Selbst führen (was auch das Ziel der Praktiken ist, die mit Advaita Vedanta verbunden sind).” 

Das alles liest sich sehr immanent, d.h. spricht für Dugins Neigung zur Immanenz, und man fragt sich, worin überhaupt die Methode der “Selbsttranszendenz” liegen soll. Diese Frage könnte beantwortet werden, wenn wir recherchieren, was “Advaita Vedanta” ist 

: Advaita Vedanta ist der “Weg” einer indischen Lehre oder Schule: eine “spirituelle Disziplin, die unternommen wird, um ein bestimmtes geistiges Ziel zu erreichen”. Das “Geistige” und die “Erkenntnis des Brahman” als Ziel deutet auf Transzendentes hin, aber verschiedene Lehrer dieser Schule scheinen sich uneins über die Praxis der Disziplin zu sein: Für manche ist die Erkenntnis des Brahman unmittelbar und bedarf keiner weiteren Aktivität, für andere müssen Yoga-Übungen und Meditationen dazu dienen. 

Wir müssen bei der Recherche nicht all zu tief vordringen, um zu erkennen, daß es sich bei allem Monismus um ein transzendentales Verfahren handelt. Das Brahman ist zwar “die unveränderliche, unendliche, immanente und transzendente Realität als letztlich alleinige Realität”, aber das Ziel des Advaita Vedanta liegt im Erkennen, nicht im Sein, womit klar ist, daß es für die von mir vorgeschlagene Methode der Identitätsstiftung ungeeignet ist, denn diese setzt zu großen Teilen auf das tiefe Erleben und Fühlen der wahrgenommenen inneren Realität, also das unmittelbare Sein und nicht die unmittelbare Erkenntnis. Das aus diesem Erleben und Fühlen resultierende Sein kann nicht mit geistigen Exerzitien und zen-buddhistischen Tricks erreicht werden. Wir radikalen Westler stellen dem die “radikale Immanenz” gegenüber. Die geistige Herangehensweise des Ostens an eine stoffliche Welt bleibt – das gibt er auch u.a. mit der buddhistischen “Zwei-Wahrheiten-Lehre” zu – gespalten. Die “tiefe Identität” aber kann nur eine ungespaltene sein. Es gilt die Dichotomie von Transzendenz und Immanenz zu unterwinden, indem wir uns zunächst für die Immanenz entscheiden, sie als Teil einer funktionellen Identität erkennen (Grundlage des Gegensatzpaares Immanenz–Transzendenz ist das Sein bzw. die “alleinige Realität” der Brahmanen – dann aber nur als wirkliches Sein, nicht als Theorem) und schließlich diesen Begriff “Immanenz” in post-philosophischer Manier der Vergessenheit anheimgeben. 

Um nun den Nihilismus zu überwinden (oder zu unterwinden – das ist die Frage!), schlägt Dugin “einen Schritt innerhalb der nihilistischen Natur des Individuums” und die “direkte Konfrontation mit dem Tod und die Entdeckung des Nichts” vor. 

Im Angesicht des Nichts, der inneren abgründigen Leere und Abgestorbenheit, des Quasi-Todes des Individuums, “erreicht”, so Dugin, “der Liberale die Selbstbestätigung als die einzigartige und ultimative Instanz des Seins. Dies ist die letzte Konsequenz des radikalsten Solipsismus und kann zu einer Implosion des Egos und dem Erscheinen des wahren Selbst führen (was auch das Ziel der Praktiken ist, die mit Advaita Vedanta verbunden sind).” 

Das alles liest sich sehr immanent, d.h. spricht für Dugins Neigung zur Immanenz, und man fragt sich, worin überhaupt die Methode der “Selbsttranszendenz” liegen soll. Diese Frage könnte beantwortet werden, wenn wir recherchieren, was “Advaita Vedanta” ist 

: Advaita Vedanta ist der “Weg” einer indischen Lehre oder Schule: eine “spirituelle Disziplin, die unternommen wird, um ein bestimmtes geistiges Ziel zu erreichen”. Das “Geistige” und die “Erkenntnis des Brahman” als Ziel deutet auf Transzendentes hin, aber verschiedene Lehrer dieser Schule scheinen sich uneins über die Praxis der Disziplin zu sein: Für manche ist die Erkenntnis des Brahman unmittelbar und bedarf keiner weiteren Aktivität, für andere müssen Yoga-Übungen und Meditationen dazu dienen. 

Wir müssen bei der Recherche nicht all zu tief vordringen, um zu erkennen, daß es sich bei allem Monismus um ein transzendentales Verfahren handelt. Das Brahman ist zwar “die unveränderliche, unendliche, immanente und transzendente Realität als letztlich alleinige Realität”, aber das Ziel des Advaita Vedanta liegt im Erkennen, nicht im Sein, womit klar ist, daß es für die von mir vorgeschlagene Methode der Identitätsstiftung ungeeignet ist, denn diese setzt zu großen Teilen auf das tiefe Erleben und Fühlen der wahrgenommenen inneren Realität, also das unmittelbare Sein und nicht die unmittelbare Erkenntnis. Das aus diesem Erleben und Fühlen resultierende Sein kann nicht mit geistigen Exerzitien und zen-buddhistischen Tricks erreicht werden. Wir radikalen Westler stellen dem die “radikale Immanenz” gegenüber, von der Dugin spricht. Die geistige Herangehensweise des Ostens an eine stoffliche Welt bleibt – das gibt er auch u.a. mit der buddhistischen “Zwei-Wahrheiten-Lehre” zu – gespalten. Die “tiefe Identität” aber kann nur eine ungespaltene sein. Es gilt die Dichotomie von Transzendenz und Immanenz zu unterwinden, indem wir uns zunächst für die Immanenz entscheiden, sie als Teil einer funktionellen Identität erkennen (Grundlage des Gegensatzpaares Immanenz–Transzendenz ist das Sein bzw. die “alleinige Realität” der Brahmanen – dann aber nur als wirkliches Sein, nicht als Theorem) und schließlich diesen Begriff “Immanenz” in post-philosophischer Manier der Vergessenheit anheimgeben. 

Transzendenz und Immanenz
Abb. 3: Funktionelle Identität von Transzendenz und Immanenz

Wir entscheiden uns weder für die Untätigkeit noch für die physische Tätigkeit (Streit der hinduistischen Lehrer), sondern für das unmittelbare Sein anstatt des unmittelbaren Erkennens (das Erkennen folgt auf das wahrnehmende Sein), für aktives Wahrnehmen und Ausdrücken von Gedanken und Gefühlen, auf keinen Fall für das Unterdrücken, Umleiten in Höheres, Sublimieren und Transzendieren der Gedanken und Gefühle. 

In den besagten Stunden der Tiefenwahrheit wird nun in verschiedenen Zuständen und Vorgängen (Prozessen) “geseit”, d.h. sind wir in diesen Zuständen und Vorgängen. Das Ziel besteht in der Identitätsstiftung oder im Erreichen von Sein und Dasein schlechthin, im Ausfüllen des Nichts mit Etwas, und darin, in der Vergangenheit unterdrückte Reaktionen, die zum Verlust der Tiefenperson geführt haben, nachzuholen. Dieses Reagieren und Nachholen findet im sog. Verschmerzen seinen Tiefpunkt und sein Ende. Mit jeder Verschmerzung wird ein Teil der Person zurückgewonnen und vertieft sich die Identität. 

Für jede Verschmerzung ist aber eine Öffnung Voraussetzung, die mit Schmerz zunächst nichts zu tun haben muß. Einzig wichtig und alles-entscheidend ist das, was Dugin “Authentizität” nennt, nur diese führt zum “authentischen Dasein” – Voraussetzung der “tiefen Identität”. Auch im abgestorbensten modernen Menschen gibt es noch untrügliche Zeichen im Inneren dafür, was echt und was nicht echt ist; dieses Gespür ist unausrottbar. 

Eine Art Öffnung – und zwar eine nicht-emotionale – ist die “Erörterung” (der Beginn eines Prozesses, der schließlich zur Verortung führt). Dabei geht es um das Problematisieren, das Theoretisieren, das Reflektieren, das Erzählen, das Feststellen der Dinge, wie sie sind (“sage, wie es ist” – Phänomenologie), aber auch um Selbstrechtfertigung und Selbstbestätigung, bei denen die Logik eine Rolle spielt. Hier befinden wir uns im Bereich des sog. Rationalen bzw. Kognitiven, der von manchen emotionszentrierten Psychotherapien – erst recht “KörperPsychotherapien” – als “Widerstand” gesehen und negativ gewertet wird. Das tut die Tiefenwahrheit ausdrücklich nicht; sie räumt der Erörterung den für die Öffnung notwendigen Raum ein und wertet sie positiv. Philosophie ist Voraussetzung für Post-Philosophie. Wichtig ist die Verbindung mit sich selbst, egal, ob auf sprachlicher, emotionaler oder körperlicher Ebene; erst dann kann die Verbindung mit der Welt allgemein und der Heimat konkret erfolgen.

Besagte Zustände und Vorgänge laufen also auf ein Ziel hin, wiederholen sich aber – spiralartig-vertiefend – in der Regel etliche Male: man kommt immer auf eine Sache zurück, vertieft sie aber jedesmal bzw. läßt sie erst einmal nach und nach zu. (“In der Regel” heißt, daß Stunden der Tiefenwahrheit extrem individuell sind und jeder seine eigenen Rhythmen und Muster entwickelt – um sie zu jeder Zeit wieder zu verändern. Es gibt diesbezüglich selbstverständlich keine Vorgaben und keinerlei Technik. Das Vorgehen und die Zustände ergeben sich einzig aus dem Immanenten des Einzelnen.) 

1. Teil der Video-Reihe “Dugin Heimat”: Annäherung ans Dorf – Rückverbindungs-, Verortungs- und Vertiefungsprozeß in drei Zyklen mit je fünf Etappen (Text, Video auf YoutubeOdyseeBitchuteRumble)

Im nachfolgenden angereicherten Audio, dem ersten Teil der Serie, heißen diese Wiederholungen “Zyklen” und die Zustände und Vorgänge “Etappen” (im zweiten Teil der Audio-Serie heißen die Wiederholungen z.B. “Anläufe”).

Das sind die fünf Etappen, die in drei Zyklen durchlaufen werden, wobei sie der Übersichtlichkeit halber in diesem angereicherten Audio stets in der gleichen Reihenfolge innerhalb eines Zyklus bleiben (in anderen Audios mehr chaotisch, in scheinbarer Unordnung dargestellt):

1. Nichts, tot bei lebendigem Leibe, Elend, Nicht-Dasein, Ortlosigkeit, Bodenlosigkeit

2. Unzufriedenheit (Frustration)

3. Öffnung: Hinab ins Gefühl: Sensibilität, Intimität, das Heilige (Kleinodien, Transzendenz, Esoterik); völlig nackt und schutzlos (besagte Bejahung des Heiligen)

4. Verschmerzung

5. Ausfüllung des Nichts, Verlebendigung, Verortung, Verbindung, Ankommen, Heimat, Zugehörigkeit, Liebe, Schönheit (Symbollosigkeit, Immanenz, Exoterik)

Im 1. Zyklus entfällt noch die 5. Etappe (Heimatanbindung), da es bis dahin auch noch nicht zu einer Verschmerzung gekommen ist. Die (fehlende) Heimat löst noch zu viel Schmerz aus, der noch nicht auf aufgelöst (verschmerzt) werden kann. Es ist derselbe, zu große Schmerz (Überlastung), der in Vereinzelung und Isolation getrieben hatte. 

Der entscheidende Moment (hier: die entscheidende Etappe in den Zyklen) und das, was die immanente von der transzendenten Methode unterscheidet, ist immer der der Öffnung. Hier läßt man die Tiefenwahrheit zu. Hier beginnt der Abstieg in die Welt, die aus Gedanken, Sprache und Gefühlen besteht. Hier spricht man nicht über etwas (z.B. über Gefühle), sondern läßt dieses Etwas zu. Nur in dieser Welt lauert die tiefe Identität. Hier scheiden sich Philosophie von Post-Philosophie, Intellektualität von Post-Intellektualität. 

Und in diesem Vorgang landet der Tiefenwahrsager prompt im Zustand des bodenlosen Elends, des Abgrundes seiner modernen Existenz: im Nichts. Wir alle wissen, daß das Wort “Elend” früher die Bedeutung von “anderes Land, Fremde, Verbannung” hatte. Im Elend hat man kein Land, keinen Grund, keinen Boden. Man fühlt sich keiner Heimat zugehörig. Elend ist der Nicht-Ort, die U-Topie.

Wenn man im Nichts ist, nicht da ist, “kein Dasein hat”, hängt man in der Luft, im Geist, im Himmel, in der Transzendenz. Aber man bekommt nicht wirklich Boden unter die Füße, indem man Yoga oder bioenergetische Übungen nach Alexander Lowen (einem neu-reichianischen Mode-Therapeuten und -Autor aus den 70ern und 80er Jahren) macht, durch die “Energie” in die Füße fließen und Kontakt mit der Erde hergestellt werden soll. Das ist verkürzte und vulgäre Vorstellung von Verwurzelung. Bodenhaftung, Bodenständigkeit und Heimatverbindung haben eigentlich gar nichts mit dem Boden zu tun, sondern rühren von der riesigen Abwesenheit einer gefühl- und liebevollen Beziehung und Bindung her. Diese Abwesenheit wird als Abgrund, also Grundlosigkeit, empfunden – und als komplette Loslösung oder völlig leerer Raum,in dem man herumfliegt (Major-Tom-Syndrom). Ungeliebt-sein heißt, nicht da zu sein, nicht in der Welt und nicht auf der Erde zu sein.

Bei der Verschmerzung der Bindungslosigkeit erscheint dann wieder der Ort des Geschehens und die Wege, auf denen man ging und geht: durch das wiedererlangte Gefühl für die Richtigkeit zwischenmenschlicher Beziehung erscheint auch wieder der Boden und die Landschaft, auf dem und in der diese Beziehung hätte stattfinden sollen. Dadurch wird diese Stelle der Welt wieder beseelt und ein Heimatgefühl entsteht. Der Boden wird demystifiziert und entheiligt, d.h. sich wieder angeeignet. Das Heilige aber spielt eine große Rolle als Symbol tiefer Gefühle und wird selbstverständlich und absolut bejaht – nur so kann der Schritt vom Transzendenten ins Immanente, vom Himmel auf den Boden der Tatsachen vollzogen werden. – Das könnte in meiner Dugin-Kritik im “Eurasische-Mission”-Vorwort zu kurz gekommen, übersehen oder zu unrecht als vernachlässigend gesehen worden sein. 

Im Audio spricht der Tiefenwahrsager im 3. Zyklus: “Und wenn das nicht so ist [man keine liebevolle Bindung hat], dann ist man eben nicht da. Es ist so, als ob man alleine für sich gar nicht sein kann.” Diese Beobachtung ähnelt Alexander Dugins Kritik an Liberalismus und Individualismus. Und an dieser Stelle möchte ich nun die anfangs erwähnte Korrektur an meinem Vorwort zu Dugins Buch “Eurasische Mission” anbringen: Ein für sich existierendes Individuum scheint es tatsächlich, wie Dugin es sagt – und wie der Tiefenwahrsager es in seiner Stunde der Tiefenwahrheit selbst erkennt –, gar nicht zu geben. Das gilt vorrangig für das Kind und seine Anbindung an die Mutter, aber auch für den Erwachsenen, dessen Bindungsfähigkeit von seiner Erfahrung als Kind abhängt. Dugins Kritik am Individualismus, so treffend sie ist, bleibt aber – wie Marxens Verelendungs- und Entfremdungstheorie – unvollständig und im Hinblick auf eine effektive Unterwindung des Individualismus zu sehr an der Oberfläche, läßt das ganze Reich der Gefühle unberücksichtigt. Nur diese können für ein Eingebettetsein des Einzelnen in ein Kollektiv sorgen, nur mit Gefühlen kann die erlittene Abwesenheit verschmerzt und der Einzelne wieder vollwertiger Teil einer lebendigen Gemeinschaft werden.