Objekt-orientierte Óntologie und Entfremdung


Der verheerende Einfluß der Wissenschaft – insbesondere ihrer Disziplin Psychologie – als Objekt-Orientierung auf das Subjekt
Für die Subjekt-Orientierung und darüber hinaus das Ón!
(27.8.2022)

(Hängt zusammen mit “Dugin Heimat” 5: Das Heilige (1) und seine Entweihung durch Technik. / KommentarVideo)

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Was heißt überhaupt “objekt-orientierte Ontologie” und was ist an ihr zu kritisieren? Naturwissenschaft und Technik können gar nicht anders als objekt-orientiert sein (bei der Quantenphysik scheint es anders zu sein, aber davon habe ich keine Ahnung).

Die Lehre vom Sein (Ontologie) aber kann beides sein, sowohl objekt- als auch subjekt-orientiert. Wenn es um das individuelle und kollektive Sein von uns Menschen geht, kann eine Ontologie sinnvoll nur subjekt-orientiert sein. Alles andere ist Entfremdung oder – wie Dugin sagt – “unauthentisch”. Es gibt dennoch auch in der Humanontologie eine zu unterwindende Objekt-Orientierung, und zwar immer dann, wenn von einem Subjekt als Objekt oder wenn von einem Ich oder von einem Wir in der dritten Person Einzahl, anstatt daß von ich und wir, also uns, als Subjekt in der ersten Person Einzahl und Mehrzahl die Rede ist. Im ersten Fall werden ich und wir substantivisch (immerhin grammatikalisch als Subjekt), im zweiten Fall als Pronomen gebraucht.

Ist die Objekt-Orientierung in Wissenschaft und Technik auf der konventionellen Ebene zwingend, d.h., wenn es um Dinge da draußen geht, die wir uns nutzbar machen wollen, so übt sie im Bereich aller Bemühungen, die sich auf unser Innen beziehen – von allen Arten der Mentalhygiene bis hin zur Medizin – eine verheerende Wirkung aus. Völlig zurecht steht sie von daher im Zentrum der Kritik Alexander Dugins.


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Die Wissenschaft mit ihrer Objekt-Orientierung ist, wenn es um unser inneres Befinden geht, schädlich – insbesondere dort, wo die Wissenschaft sich ausdrücklich auf das Innere und Seelische bezieht: in der Psychologie, der wissenschaftlichen Lehre von der Psyche. Diese liegt Behandlungsmethoden (Psychotherapien) zugrunde, mit denen Menschen geholfen werden soll, mehr Ausgeglichenheit, Übereinstimmung mit sich selbst und damit Zufriedenheit zu finden. (Ein besseres Funktionieren in der Megamaschine der modernen Welt hat die offen und rein objekt-orientierte Psychologie – z.B. die Verhaltenstherapie – zum Ziel und wird hier gar nicht erst thematisiert.)

Manche Psychologen haben bemerkt, daß die geburtsfehlerhafte Objekt-Orientierung ihrer Disziplin dabei nicht zielführend ist und haben versucht, den wissenschaftlich-technischen Charakter ihres Vorgehens hinter sich zu lassen. Letztendlich wird das aber erst mit ihrer Selbstabschaffung als Psychologen gelingen.

Insbesondere verschiedene Spielarten der sog. Humanistischen Psychologie auf Basis einer durchaus subjekt-orientierten Ontologie haben versucht, Hilfe suchenden Menschen als Subjekte zu sehen, mit ihnen als solchen zu handeln und sie entsprechend zu behandeln. In letzterem aber liegt gleichzeitig bereits die Crux. Die Psychologie konnte letztlich nie über ihren wissenschaftlich-technischen Charakter und damit über ihr Objekt-Orientierung hinausgehen, weil sie dann aus dem gesamten Objekt-Orientierungs-System der Megamaschine herausgefallen wäre und sich hätte selbst abschaffen müssen.

Wie weit die Seelen und Köpfe des modernen Menschen von der Wissenschaft – im konkreten Falle hier von der psychologischen Wissenschaft – verpestet und verwirrt sind und in der Entfremdung gehalten werden, soll im folgenden an einem Beispiel dargestellt werden. Dabei wird es um den schlechten Einfluß einer speziellen und besonders wichtigen Unterform von Psychologie und Psychotherapie gehen, nämlich der Traumatologie. Auch die Traumatologie hat einige gute Ansätze und hat durchaus auch das Subjekt im Blick, aber letztlich scheitert sie daran, dem Subjekt tatsächlich und endgültig zum Durchbruch und zu seiner Radikalisierung zu verhelfen, d.h. zu einem “Radikalen Subjekt” im Sinne Alexander Dugins zu werden.   


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Im Oktober 2021 hatte ich einen kurzen schriftlichen Email-Austausch über die Frage, wie die politische und soziale Entwicklung, die wir seit 2015 sehen, überhaupt möglich war und warum die menschliche Intelligenz dabei total versagt hat und abhanden gekommen zu sein scheint. Ich war in diesem Austausch der Meinung, daß diese Wehrunfähigkeit und der Gang zum Abschlachten oder in die Sklaverei mit einer aus Traumata herrührenden riesigen Angst samt Lähmung und einer alles beherrschenden, aber völlig illusionären Friedenssehnsucht zu tun hat.

Die Deutschen, so schrieb ich, wollten die Realität nicht sehen, aber dann geschähen die Dinge um so rasanter, wie von alleine und ohne jede Bremse um sie herum. Je abstrakter die Friedenssehnsucht, desto schneller der konkrete Krieg. Die stark emotional gefärbte Friedenssehnsucht lähme die Intelligenz und das Operieren. Die Deutschen seien konfliktscheu bis in den Tod. Aber genau dadurch wüchsen ihnen in der Realität die Konflikte über den Kopf. Die Traumatisierungen in Verbindung mit einem nach dem Krieg eingesetzt habenden Wohlbehütetsein sorge für die Zementierung eines Zustand, den die Deutschen nicht mehr verlassen wollen und können. Sie retten sich vor jedem noch so kleinen Konflikt in einen höchst illusionären Kokon und ducken sich weg. Die Deutschen – überhaupt die Europäer – seien in einer Zange aus Todesangst und Goldenem Käfig (Wohlstandsverwahrlosung) eingespannt, innerhalb derer jegliches Räsonieren über die Lage verunmöglicht und die Intelligenz ausgeschaltet sei.1

Das hat zunächst nichts mit objekt-orientierter Ontologie und entfremdender Wissenschaft zu tun, es lieferte nur den Einstieg in besagten, sich schnell vertiefenden schriftlichen Austausch, denn nun erwiderte mir jene Frau – mich durchaus bestätigend – in wissenschaftlichem Stil, daß die Problem-Erfassungs- und -lösungs-Unfähigkeit tatsächlich nur bedingt etwas mit der Intelligenz selbst zu tun hätte und das dem Ausschalten der Intelligenz zugrunde liegende “Trauma in einer Limitierung der Reaktionsfähigkeit des Nervensystems besteht, die sich auf jeder Ebene manifestieren kann – also auch auf der der Intelligenz. Aber nicht nur. Die Limitierung betrifft auch die Emotionsfähigkeit, bzw. die Fähigkeit und Kapazität, fühlen zu KÖNNEN (was kognitiv nicht beeinflussbar ist – ‘ich denke, ich fühle’ ist genau NICHT fühlen) und die Körperebene – Stichwort ‘implizite Erinnerungen’. Der Körper verfügt über mehr Erinnerungen als der Verstand und wenn die mit Trauma zu tun haben, generiert der Körper entsprechende Emotionen, die unser Verstand mit den bekannten Gedanken, Glaubenssätzen und Überzeugungen belegt. Dass da so schwer rauszukommen ist, hat mit erlernter Hilflosigkeit zu tun. Rauszukommen ist da aber, man muss sich nur entsprechend entscheiden und ein bisschen mutig sein, weil der Körper die im Zuge von traumatischen Erlebnissen (egal ob eigene oder runtergeladene, ererbte, transgenerationale) ‘steckengebliebenen Fight-Flight-Freeze-Energien’ zu Ende prozessieren muss, sodass diese ‘Energien’ das System verlassen können. Man muss bereit sein, das zuzulassen. Am Anfang ist das sehr, sehr gruselig, weil man mit der Angst konfrontiert wird, dass man jetzt stirbt. Das wollen die meisten Menschen nicht fühlen, davor haben sie Angst. Damit können sie die Erfahrung nicht machen, dass ihr Körper sie nicht sterben lässt. Und deshalb bleiben sie im Trauma. Da kennen sie sich aus, da können sie überleben, im wahrsten Sinne des Wortes.”

In diesem wissenschaftlichen Kauderwelsch glaubte ich etwas zu erkennen, dem ich nicht nur zustimmen könne, sondern mit dem sie bei mir sogar offene Türen einrenne und schickte ihr Links zu Ausschnitten aus Stunden der Tiefenwahrheit, wo ich nicht nur “bereit” sei, die “steckengebliebenen Fight-Flight-Freeze-Energien zu Ende zu prozessieren”, sondern – sollte ich ihren wissenschaftlichen Jargon halbwegs richtig deuten – das auch praktisch täte, auf daß “diese ‘Energien’ das System verlassen können”, weil ich ja über die “Kapazität zu fühlen” verfüge.2   

In ihrer Antwort fragte sie mich zunächst vorsichtig, ob ich wissen wolle, was sie von den Videos halte. Nachdem ich das mit “klar!” bejahte, schrieb sie, daß ich – wie die meisten – unter “fühlen” etwas verstünde, was kein Fühlen, sondern ein “Badengehen mit Gefühlen” sei. Sie “beobachte” das, was in meinen Videos “dargestellt” sei, sehr oft. Also: Viele Leute, mit denen sie es zu tun habe, würden Gefühle in der Art zulassen, wie ich es in meinen Stunden der Tiefenwahrheit täte. Einerseits würden wir alle nur so tun, als fühlten wir etwas – “stellen” es eigentlich nur “dar” –, aber andererseits würden wir bei dieser Darstellung “mit diesen Gefühlen baden gehen”.

Dieses “Darin-baden”, das sie so oft beobachte, sei – sie wisse gar nicht, “ob es den Leuten bewusst” sei – ein “Ausagieren”. “Ausagieren” aber sei “genau ein NICHT fühlen. Dieses Ausagieren führt dazu, dass man gerade NICHT fühlen muss. Deshalb wird so viel ausagiert – Trauer, Wut, Frustration… und sogar Freude. Wenn man die Leute fragt, können sie nicht beschreiben, wie es sich anfühlt. Sie ertragen es nicht, sie halten es nicht aus. Es macht ihnen Angst. Wenn sie Gefahr laufen, wirklich zu fühlen, schützt sie ihr eigenes System davor. Es flüchtet sie ins Ausagieren oder in den Shutdown, wo sie dann sagen: ‘Ich fühle was, aber ich weiß nicht, was.'”

In dem Terminus technicus “Ausagieren” sehe ich seit langem eine besonders schädliche, weil besonders verwirrende Beeinflussung durch die objekt-orientierte Wissenschaft, und so führte ich die Korrespondenz fort, um am Ende Material für den vorliegenden Text zu haben.

Ich wollte hinter den offensichtlich vorliegenden Widerspruch kommen und diesen zu Tage treten lassen, wie man “mit Gefühlen baden” gehen kann, ohne dabei etwas zu fühlen. Ontologisch subjekt-orientiert ist das ein Widersinn. Es entstammt einem aus der Wissenschaft übernommenen objekt-orientierten Denken.


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Ich antwortete also: “Was auch immer es ist [‘Ausagieren’ oder ‘Fühlen’] – ich bin sehr oft todtraurig, und meine einzige Chance, nicht im Stumpfsinn zu enden, ist, es fließen zu lassen.” Gemeint war damit natürlich: das Gefühl der Traurigkeit anzunehmen und zu haben, und zwar solange, bis es – für den Moment jedenfalls – erschöpfend abgeflossen, also ausgedrückt sei. Die Alternative dazu sei Gefühllosigkeit (Stumpfsinn).

Darauf antwortend, fragte sie mich: “Mit ‘Stumpfsinn’ meinst Du sowas wie Hoffnungslosigkeit? Und ‘fließen lassen’ in welcher Form?”, obwohl sie ja letzteres in den den Videos gesehen hatte.

Sie wußte also nicht, daß Stumpfsinn keine Hoffnungslosigkeit sein kann. In der Hoffnungslosigkeit ist der Sinn nicht vollständig stumpf.

Ich antwortete ihr: “Wenn ich so traurig bin und es fließen lasse, die pure Traurigkeit, und wenn das dann ‘Ausagieren’, also kein Fühlen ist, dann frage ich mich, was DANN fühlen sein soll. Ja, vielleicht müßte ich es NOCH MEHR fließen lassen… [als in den zwei Stunden unaufhörlichen Weinens und Tränenvergießens]. Ich müßte SCHREIEN vor Traurigkeit”.

Ich fuhr fort: ” – und das mache ich ja auch” und schickte ihr erneut einen Link zu einem Video, wo ich genau dies tue: nicht nur stundenlanges Tränenvergießen, sondern darüber hinaus auch Schreien vor Traurigkeit.3

Auf das Thema “Stumpfsinn” zurückkommend, schrieb ich weiter: “Nein, Hoffnungslosigkeit ist noch ein Gefühl (das kenne ich auch), Stumpfsinn ist GAR KEIN Gefühl mehr.”

Weiter schrieb ich, daß sie, wenn sie sage, ich “bade im Gefühl”, gewissermaßen recht habe, ich würde es nur “fließen lassen” nennen, weil “baden” etwas Statisches sei (symbolisch ein stilles Gewässer), in den Stunden der Tiefenwahrheit aber eine gewisse Entwicklung stattfindet, also etwas dynamisch “prozessiere” – um es mit ihren Worten zu sagen (symbolisch ein fließendes Gewässer).

Schließlich fragte ich sie, was, wenn sie weiß, was “Ausagieren” ist und sie das überall beobachte, sie sich dann konkret unter Nicht-Ausagieren vorstelle: “Wie sieht denn bei Dir richtiges Fühlen anstatt Ausagieren aus?” Ich wollte sehen, woran sie den Unterschied zwischen richtigem Fühlen und Pseudo-Fühlen festmacht.

Sie antwortete mir: “Das kommt darauf an, wie intensiv ein Gefühl ist. Ich kenne solche Momente, in denen ich ein Gefühl nicht aushalte und es dann ausagiere. Zum Beispiel Wut. Oder auch Trauer. Wo ich das Gefühl nicht halten kann, im wahrsten Sinne des Wortes.”

Das “Gefühl zu halten”, sei also Fühlen. Ich stelle mir das “Halten” eines Gefühls nicht sonderlich gefühlvoll vor. Es ist offensichtlich, daß “Halten” kein Fühlen ist.

Wenn sie ein Gefühl “nicht aushält”, greift sie offenbar zu einer Technik, die sie “halten” nennt: sie beruhigt sich dann, hält wahrscheinlich den Atem an und sich innerlich still. Diesen Vorgang nennt sie dann “Fühlen” – als Gegensatz zum “Ausagieren”, das sie ja auch kennt, nämlich aus den “Momenten, in denen ich ein Gefühl nicht aushalte, und es dann ausagiere”.

Hier beginnen ihre Gedanken, sich in den Schwanz zu beißen, und die Verwirrung, die durch so ein wissenschaftlich-psychologisches und objekt-orientiertes Theorem wie “Ausagieren” induziert wird, greift Platz. Denn es ist offensichtlich, daß sie dann, wenn sie das Gefühl “nicht aushält” – etwas fühlt. Diese Gefühle treiben sie in eine Not, die sie dann mit “Halten” abwendet. Bis zu diesem Augenblick, fühlt sie tatsächlich etwas. Was sie dann fühlt – möglicherweise ein Derivat eines zugrundeliegenden Gefühls oder wie intensiv auch immer –, sei dahingestellt; uns interessiert hier nur, daß sie während des “Nicht-Aushaltens” etwas fühlt, bevor sie dazu übergeht, dieses Gefühl zu “halten”.

Weiter schrieb meine Korrespondenzpartnerin: “Ich wusste früher nicht, dass das [“das Gefühl nicht halten” zu können] ‘ausagieren’ und ‘nicht-fühlen-müssen’ ist, ich dachte immer ‘dann muss das eben raus’ – und manchmal ging es ja auch nicht anders.”

Also wider ihren Willen ist sie früher manchmal in ein Gefühl geraten; das passiere ihr heute auch noch, aber jetzt wisse sie, daß das – also effektiv etwas zu fühlen – damals ein “Ausagieren” gewesen sei. Das, was “dann eben raus muss”, wenn es “manchmal ja auch nicht anders ging” – das waren ganz offensichtlich Gefühle. Wir brauchen das nicht länger beweisen, denn wenn es keine störenden Gefühle, sondern z.B. nur reine Informationen gewesen wären, hätte kein Grund für irgendeinen, die Störung beseitigenden Umgang mit ihnen bestanden.

Wenn sie früher “ein Gefühl nicht ausgehalten und es dann ausagiert habe, zum Beispiel Wut oder Traurigkeit”, dann sei das “Nicht-fühlen-müssen” gewesen. Ich stelle sie mir vor, wie sie innerlich vor Wut kocht oder es ihr zum Heulen zumute ist, aber diese Wut und diese Traurigkeit, die empfindet sie nur – so denkt sie es –, um etwas anderes nicht fühlen zu müssen (die psychologische Definition von “Ausagieren”). Dieses andere seien dann echte Gefühle gewesen. Wenn das mal keine waschechte Entfremdung ist!

Weiter antwortete sie mir auf meine Frage, was sie unter “Ausagieren” verstünde:

“Ich hab dann erst, als ich mich mehr mit Trauma beschäftigt habe [also mit psychologischer, physiologischer und psychosomatisch-medizinischer Wissenschaft], herausgefunden, dass ein Gefühl nur dann sozusagen ‘mit mir durchgeht’, wenn ich es wie gesagt nicht halten kann.”

Offenbar will sie nicht, daß ein Gefühl “mit ihr durchgeht”: Das störenden Gefühl soll durch “Halten” beseitigt werden. Das ist durchaus legitim und ihre Wahl (ihre “Entscheidung”, wie sie oben sagte, als es darum ging, Gefühle “zuzulassen”), aber es hat dann eben nichts mit dem zu tun, was man ein Gefühl bezeichnet. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, aber um die Worte halbwegs sinnvoll und konventionell zu gebrauchen, ohne in eine Konfusion zu geraten, widerspricht die Haltung, etwas zu “halten” (“Halt!”) und “nicht mit sich durchgehen zu lassen” dem tatsächlichen Haben eines Gefühls – wie sinnvoll, berechtigt und notwendig diese Haltung auch immer sein mag (und das kann diese Haltung tatsächlich sehr wohl sein!).

Damit “mit ihr nicht” länger, so wie früher, “die Gefühle durchgehen”, fuhr sie fort, wolle sie diese jetzt “halten”. – Das hätte sie die “Beschäftigung mit Trauma” gelehrt. Der Verdacht drängt sich auf, daß dieses “Halten” die Gefühle in ihrer Intensität minimieren und im Zaum halten soll, und das muß sie gemerkt haben, denn sichtlich etwas verwirrt, schreibt sie weiter: “Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben kann… Es geht nicht darum, es ‘auszuhalten’, eher darum, ‘es zu haben, ohne etwas damit zu machen'”. 

Sie merkt intellektuell, daß hier, bei gleichzeitigem Fühlen (“durchgehen”, d.h. “nicht aushalten”) und Nichtfühlen (“halten”) ein Widerspruch oder ein Nonsense vorliegt. Deshalb versucht sie nun, ihre Gedanken aus dem Nonsense herauszuentwickeln, und sie führt eine weitere Technik ein: Es “geht jetzt” plötzlich “nicht mehr darum, es auszuhalten”, sondern darum, “es zu haben, ohne etwas damit zu machen”.

Wird es dadurch weniger widersprüchlich? Oder ist “aushalten” bei ihr nicht doch das gleiche wie “nicht-aushalten” und damit Nonsense? Mit dem “Damit-nichts-machen”, wenn sie etwas fühlt, bleibt sie jedenfalls genau so passiv, genau so still wie in der Variante mit dem “Gefühl-halten”. Der Widerspruch bleibt bestehen: In beiden Fällen fühlt sie nichts, glaubt aber, sie fühle etwas und “agiere” es nicht “aus”.

Jetzt beschreibt sie näher, wie dieses “Damit-nichts-machen” aussieht, und es stellt sich heraus, daß sie durchaus etwas “macht”, nämlich:

“Es [das Gefühl] zu beobachten, es zu kartographieren, zu spüren, wo es sitzt, was es macht und wie es sich anfühlt.”


5

Hier fällt mir der Reichianer Peter Nasselstein ein: “Patienten, die diese ‘Therapien’ absolvieren, kommen typischerweise als veränderte Menschen nach Hause. Agierten sie vorher spontan ‘aus dem Bauch heraus’ (…), sehen sie, bevor sie irgendwas tun, nunmehr ‘in sich’ im Sinne der ‘Selbstachtsamkeit’.”4 

Zuerst fühlen sie tatsachlich etwas – das, was unsere Korrespondenzpartnerin “nicht aushält”, was “mit ihr durchgeht” –, und danach, aufgrund der Verurteilung ihrer Gefühle als “Ausagieren” und damit deren Beendigung –, nichts mehr.

Aber Peter Nasselstein bleibt als Reichianer seinerseits selbst in der objekt-orientierten Ontologie, indem er das Geschilderte als „intellektuelle Abwehr“ bezeichnet. Es würde die Verwirrung vollenden und den Objektivismus auf die Spitze treiben, würde meine Korrespondenzpartnerin nun auch noch von ihrer eigenen „intellektuellen Abwehr“ zu sprechen anfangen. – Aber auch das wird es in der Schar der verzweifelten Intellos geben. Trotzdem ist es hier hilfreich, Peter Nasselstein weiter zu zitieren, weil er viel Wahres sagt und sich klar auf dem Weg zur Subjekt-Orientierung befindet:

“Das ganze wird dann noch mit ‘östlichen Weisheitslehren’ und gar Reichianischen (…) Versatzstücken ausgeschmückt. Doch die gelernte ‘Achtsamkeit’ hat rein gar nichts mit bioenergetischem (orgonotischem) Kontakt zu tun, sondern ist nichts anderes als Intellektualisieren, zerebral. Und das Gerede über ‘Chi’, ‘Prana’, ‘Energie’, gar ‘Orgon’ spiegelt nichts anderes wider als was man gemeinhin als ‘Geist’ bezeichnet. Es ist das ‘Leben im Spiegel’, ungreifbar, steril, kontaktlos. Das wird als befreiend und ‘heilend’ erfahren, weil man endlich von den Emotionen befreit ist.”

“Bioenergetischer (orgonotischer) Kontakt” ist ein reichianischer, d.h. wissenschaftlicher und objekt-orientierter Begriff für das, was in der Subjekt-Orientierung die Lebendigkeit des Selbstes und seine Kommunikation bzw. “meine Lebendigkeit” heißt; es ist das Pendant zu dem, was Dugin in seiner Ontologie die Tiefe Identität oder das Radikale Selbst nennt.

Völlig richtig ist Nasselsteins letzter Satz: Unsere Korrespondenzpartnerin fällt ganz offensichtlich mit ihren Techniken des “Aushaltens” und des “Es-zu-haben-ohne-etwas-damit-zu-machens” in eine Passivität und eine Stille, die alles anderes als emotional ist (von der sie aber denkt, das sei das echte Fühlen). Sie ist dann tatsächlich “von Emotionen befreit”.

Psychologische Theorien, die einerseits (oder scheinbar) das Emotionale für die Erreichung der Tiefen Identität bejahen, dienen andererseits dazu, das Emotionale zu verneinen.

Ich wiederhole an dieser Stelle: Es geht hier nicht darum, daß jemand emotional sein soll. Die Gründe, seine Emotionen in Schach zu halten, sind triftig und berechtigt. Und wenn die Patienten die Befreiung von Emotionen durch „In-sich-hineinhören“ als heilend empfinden, dann sei es ihnen gegönnt. Sie haben eine Art Tranquilizer gefunden, und das sollte nicht abschätzig abgetan werden. Nasselstein schreibt: “Das ist der gleiche Zustand, der chemisch durch Psychopharmaka hervorgerufen wird.” Ob nun durch Pillen oder durch wissenschaftlich-psychologische Ideen (Geist), ob nun durch Sprit oder Spirit – die Befähigung, eine gewisse Ruhe vor zu stürmischen Emotionen zu finden, soll gewürdigt werden.

Es geht hier also nicht um die Aufforderung zu mehr Emotionalität, sondern nur darum, die Verwirrung, die mit Psychologie angerichtet wird, und zwar mit jeder Art von Psychologie und Wissenschaft – auch mit reichianischer – zu beenden.

Für Nasselstein sind die von ihm kritisierten Verfahren wie “Achtsamkeit” usw. Pseudotherpaien: Er setzt sie in Anführungszeichen – „Therapien“ – und gibt zu verstehen, daß das reichianische Verfahren eine echte Therapie ist.

Das mag ja sein, aber beide – „Therapie“ und Therapie – befinden sich im gleichen Lager: dem der objekt-orientierten Ontologie. Therapie ist immer der falsche Weg, wenn es um die Subjektwerdung und um die Beendigung der Verwirrung und darum geht, ein “Eigner” im Stirner’schen Sinne, also unentfremdet zu werden – welch gute und zu würdigende Richtung eine bestimmte Psychologie und Psychotherapie auch immer eingeschlagen hat.

Wir lassen jetzt weiter meine Korrespondenzpartnerin zu Wort kommen, die derweil ganz “achtsam” ist und damit ihre Emotionen in den Griff bekommt:


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“Man kann sich auch damit helfen, dass man spürt, was ein Gefühl im Körper macht.”

Jetzt beschreibt sie einen weiteren, noch mehr ins Körperliche verlagerten Vorgang, der, wie es bei Nasselstein, die “Pseudotherapien” betreffen, heißt, als befreiend und heilend erfahren wird:

“Das Gruselige daran ist, dass echte Gefühle nur ein paar Sekunden bleiben, so lange, wie man braucht, um die Information zu kapieren. Wenn etwas, was man fühlt, sehr intensiv ist, länger anhält und/oder immer wieder kommt, ist es eine Emotion. Deswegen sagt man dann, man reagiert ’emotional’. Emotionen sind nicht oder nicht zu Ende gefühlte Gefühle aus der Vergangenheit, die mit den ‘Notfallprogrammen’ des Körpers in Verbindung stehen – Fight, Flight, Freeze (inkl. Faint). Wenn ich es schaffe, eine Emotion zu ‘halten’, indem ich sie ‘da’ sein lasse, ohne etwas mit ihr zu tun (sie aber beobachte und sie sozusagen ‘still’ fühle), ploppen die Notfallprogramme hoch und der Körper spult die zu Ende.”

Ich habe bisher den Zustand, den sie mit ihren Techniken  erreicht, als still, als beruhigt und gefühllos, beschrieben. Jetzt benutzt sie dasselbe Wort: “still fühlen”. Es ist die entscheidende Aussage. “Still” heißt gar nicht – es ist, wie Nasselstein sagt, die Befreiung vom Fühlen.

Der Unterschied zwischen dem “richtig Fühlen (nicht ausagieren)” meiner Korrespondenzpartnerin und “fühlen” macht sich an dem Wort “still” fest. Wenn es nicht still zugeht, sondern – je nach dem – laut oder leise etwas geschieht, dann wird das Gefühl nicht (zurück)gehalten; im Zurückhalten verwandelt sich das Gefühl in ein Nichtgefühl, in Nichts. Laut wird es, wenn das Gefühl im Inneren gespürt wird und eine Reaktion auslöst. (Es kann dabei aber auch und sehr wohl leise zugehen. Die bewußt wahrgenommene und geseite Stille kann durchaus auch ein notwendiger Schritt sein.) Diese Reaktion ist nichts anderes als jenes “Zu-Ende-Fühlen” meiner Korrespondenzpartnerin: ein Gefühlsausdruck, der in der Vergangenheit eben nicht stattfinden durfte – worin überhaupt erst das Trauma besteht. Wenn angemessen reagiert werden kann, bleibt Vergangenes nicht in der Gegenwart, sondern vergeht. Doch genau dieses alles entscheidende “Zu-Ende-Fühlen” meiner Korrespondenzpartnerin in Form von nun endlich stattfindender Reaktionen auf die dem Kind widerfahrenen Aktionen, auf das ihm Angetane – genau das hält sie für “Ausagieren”. Sie entscheidet sich an dieser Stelle für die Stille, was nichts anderes heißt, als ein Still-hinnehmen des Angetanen.

Eine angemessene Reaktion kann aber tatsächlich eine sehr lange Zeit der Stille sein, in der das Subjekt versinkt. Das hat der Direktor des Institutes für Tiefenwahrheit an sich Hunderte male erlebt und auch in einigen Videos thematisiert. Dieses Bedürfnis nach Stille und die Stille als Reaktion kann von Aktionen herrühren, in dem das Subjekt gewaltsam in eine ihm völlig neue Lage gerissen wurde, ohne daß eine Beruhigung (ein Stillen) geschehen ist, mit der die alte (traumatisierende) Lage beendet worden ist bzw. wäre. Dann kann, die Stille zu fühlen und auszukosten, bedeuten, daß das Subjekt seine Wahrheit, fast gestorben zu sein, endlich als seine Lebensgeschichte wahrnehmen darf – was es bis dahin nie durfte. Dann will sich das Subjekt endlich sterben lassen in Anerkennung seiner Erfahrung und Wirklichkeit. Das heißt nicht, daß das Subjekt tatsächlich stirbt – im Gegenteil, es taucht aus diesem “Zu-Ende-Fühlen” und In-der-Stille-Reagieren bzw. Durch-Stille-Reagieren als Person gewachsen, vergrößert, vitalisiert und identitätsgestiftet hervor. Das Wahrnehmen der Lebensgeschichte ist nämlich ist nämlich nichts anderes, als das Entstehen überhaupt der ganzen Person, das Daseins.

Meine Korrespondenzpartnerin hat das in ansatzweise subjekt-orientierten psychologischen Theorien intellektuell durchaus nachvollziehen können: Am Anfang ist das sehr, sehr gruselig, weil man mit der Angst konfrontiert wird, dass man jetzt stirbt. Das wollen die meisten Menschen nicht fühlen, davor haben sie Angst. Damit können sie die Erfahrung nicht machen, dass ihr Körper sie nicht sterben lässt. Und deshalb bleiben sie im Trauma.” Das Subjekt kommt aber nicht an diese Stelle des “Zu-Ende-Fühlens” und Endlich-reagieren-Könnens, indem es wahlweise “mit der Angst konfrontiert wird” oder ihm die Angst genommen oder ausgeredet wird, sondern indem es seinem authentischen Bedürfnis, d.h. seinen Gefühlen folgt: Es will dann einfach nur daliegen und nichts mehr anderes wahrnehmen, als den Innenraum seines Körpers (seinen “Leib”, wie Hermann Schmitz sagen würde) spüren und staunend die Eigengeräusche in seinen Ohren und Blutgefäßen hören. “Mit-Angst-konfrontieren” ist objekt-orientiert und entfremdend; dem Bedürfnis folgen bis in den Scheintod hinein ist subjekt-orientiert.

Die intellektuelle “Beschäftigung” meiner Korrespondenzpartnerin mit jenen ansatzweise subjekt-orientierten psychologischen Theorien führten sie aber nicht in die Praxis und damit in das wirkliche Verständnis des Geschehens, sondern meine Korrespondenzpartnerin nutzte diese Theorien zur Abtötung, zur Stilllegung ihrer Gefühle. Es scheint paradox, aber je realistischer eine Theorie, desto mehr geeignet ist sie, als Geist beruhigend zu wirken. Indem man sie liest, glaubt man, daß das in einem stattfindet, wovon in den Theorien die Rede ist. Man fühlt sich verstanden. In dieser Virtualität liegt das Geheimnis der Wirkung von Intellekt, von Geist.

Als geistige Droge und als virtueller Befreiungs- und Heilvorgang fungiert jetzt das psychologische Theorem vom “Notfallprogramme”, die dann praktisch ausgelöst würden, wenn Gefühle “beobachtet und still gefühlt” werden. Jetzt, wo sich alles in einer Theorie logisch zusammenfügt, glaubt der die Glaubensinhalte der Psychologie übernehmende Laie an seine eigene Befreiung und Heilung – und das hat tatsächlich etwas Befreiendes, weil Sedierendes.

Doch wie bereits gesagt: Wir wollen an dieser Stelle geistige Droge nicht geringschätzen oder den Glauben an psychologische Theorien erschüttern (eher diese in ihren guten Ansätzen zu radikalisieren); diese haben einen unbestreitbaren Verdienst bei der Ruhigstellung des Einzelnen und bei der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Es geht hier lediglich um die Darstellung des Unterschiedes zwischen objekt- und subjekt-orientierter Ontologie: Bei erster spricht man bei manchen Gefühlen wissenschaftlich-technisch, die Lehre betreffend, und bei den Konsumenten der Lehre sogar in der Selbstreflektion von “Ausagieren”; bei zweiter spricht man bei einem Gefühl von “Gefühl”.

Ich kann den Psychologen folgen; ich weiß, was sie unter “Ausagieren” verstehen. Sie haben tatsächlich echte oder echtere, intensivere Gefühle unterhalb des “Ausagierens” im Visier.

Ich bin natürlich gegen die Sprache der Psychologen, aber sie haben wenigstens in ihrer Logik recht und sehen das “Ausagieren” zumindest als etwas mit einem Gefühl Verbundenes.

Was aber davon beim Laien ankommt und wozu dieser die Theorie objekt-orientierend und von sich als einem Subjekt wegführend einsetzt, ist verheerend: Der Laie glaubt, in seinem Leidensdruck der psychologischen Theorie folgen zu müssen und ihr gerecht zu werden, und jetzt fragt er sich selbst die ganze Zeit: “Ist das, was ich fühle, nicht ‘Ausagieren’?” Er mißtraut seinen eigenen Gefühlen und verabschiedet sich noch mehr von seinem bereits entfremdeten Selbst. Er wird vom Psychotherapeuten in einer Sitzung möglicherweise darauf hingewiesen und in die Verwirrung geschickt: “Das ist aber jetzt Ausagieren.”

Die einzig richtige Vorgehensweise, wenn es darum geht, das Subjekt zu stärken und es von seelischen Lasten zu befreien, ist, es von der Möglichkeit zu unterrichten, daß es im Rahmen einer Sitzung alles das so ausdrücken, so vertiefen und so intensivieren kann, wie es sich unmittelbar und sinnlich wahrgenommen präsentiert (“phänomenologisches” Verfahren). Es muß einfach alles so sagen, wie es ist. Dann stößt es – um es wieder auf psychologisch zu sagen – zu dem hinunter, was es bis dahin nur “ausagiert” hat. Diese psychologische Sprache ist aber nicht nur überflüssig, sondern schädlich.

Wenn das Subjekt die Möglichkeit annimmt und die Gelegenheit erfaßt, alles auszusprechen und zu fühlen, kann es – sich an den “Phänomenen” hinunterhangelnd – ganz zu sich kommen, kann es es selbst werden. Das ist in der Regel allerdings ein sehr langwieriges Verfahren, das in den einzelnen Sitzungen viel Zeit in Anspruch nehmen kann, welche Sitzungen über Jahrzehnte stattfinden können, jedenfalls die benötigte Zeit brauchen.

Mit der Technik meiner Korrespondenzpartnerin dagegen “bleiben echte Gefühle nur ein paar Sekunden, um die Information zu kapieren”. Weiter schreibt sie: “Das [das Abspulen der Notfallprogramme] ist normal, aber wir lernen nicht, das zuzulassen und damit umzugehen. Wir lernen, das zu unterdrücken und ‘weiterzumachen’ (damit uns keiner ablehnt und Memme nennt).”

Wenn das “Zulassen” nur eine Frage von wenigen Sekunden ist – welchen Grund gibt es dann, “uns Memme zu nennen”? Das “Zu-Ende-prozessieren” und das “Zu-Ende-fühlen der Gefühle aus der Vergangenheit” in wenigen Sekunden – das ist in der Tat “gruselig”. Hierbei muß es sich wahrlich um ein Wunderheilverfahren handeln, zumal die Gefühle ja gar nicht – geschweige “zu Ende” – gefühlt, sondern “gehalten” werden.

Das “Zulassen” ist positiv zu bewerten und noch etwas weiteres an der Psychologie zu Würdigendes. Es heißt aber bei ihr “still fühlen” und “halten”. Und diese Diskrepanz hat sie – wie wir weiter unten sehen werden – von einer bestimmten psychologischen, objekt-orientierten Theorie übernommen.

Weiter: “Emotionen resultieren daraus, dass das Nervensystem in Notfallprogrammen ‘steckenbleibt’.”

Das “Notfallprogramm” scheint einerseits in “zugelassenen”, “abgespulten”, also tatsächlichen Emotionen zu bestehen, andererseits sollen diese aber erst dann entstehen, wenn das “Nervensystem” in diesem Programm “steckenbleibt”. Wo waren denn die Emotionen, all die “zu Ende zu fühlenden Gefühle”, vorher?

Etwas ganz anderes wird aus diesem unlogischen und sich widersprechenden Kuddelmuddel ersichtlich: nämlich daß Emotionen etwas Schlechtes sind: Sie entstehen durch “Steckenbleiben”, was ja wohl nicht erwünscht, also schlecht ist.


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Was sie unter “eine Emotion zu halten, sie da sein lassen, ohne etwas mit ihr zu tun, sie aber zu beobachten und sie still zu fühlen” (damit die rettenden “Notfallprogramme” einsetzen können) versteht, wird verständlich, wenn man sich die sog. Traumatologie ansieht. Meine Korrespondenzpartnerin hat sich ja “mit Trauma beschäftigt” und wird dabei auf eine der Spielarten der Traumatologie gestoßen sein.

Wie diese Traumatologen bzw. Traumatherapeuten nun konkret praktisch vorgehen, wird in einer Fernseh-Doku über im Zweiten Weltkrieg als Kinder Traumatisierte gezeigt.5 Dabei wird auch die Hilfe thematisiert, die diesen ehemaligen Kindern – Kindern gebliebenen alten Menschen – angedeiht werden lassen soll: Die Betroffenen werden aufgefordert, von ihrem Leid zu sprechen, das sie seit dem traumatischen Vorfall in ihrer frühen Kindheit mit sich herumtragen. Das ist zunächst sehr löblich und zu würdigen, entspricht es doch dem subjektiven Bedürfnis dieser Menschen.

Und so beginnt die 80-jährige Elfriede Evering beim Hausbesuch einer EMDR6-Traumatherapeutin von dem schrecklichen Erlebten zu sprechen (ab 17:50 im Video zu sehen7). “Die alte Dame soll noch einmal ihre Kriegserfahrungen durchleben und mit ihrem erwachsenen Verstand neu bewerten”, heißt es in der Doku.

Dann sieht man die Therapeutin und die Patienten zusammen in der Küche der Patientin, und die Therapeutin fordert Frau Evering auf: “Schauen Sie nochmal in ihrer Lebensgeschichte da hin, wo Sie das Gefühl haben: Das belastet mich heute noch sehr stark.”   

Frau Evering findet erstaunlich schnell zurück an diese Stelle und beschreibt die Szenerie gefühlvoll.

Jetzt (im Video bei 19:308) greift die Therapeutin zu einer Technik: sie beginnt mit einer “Stimulation”, wobei sie die direkt vor ihr sitzenden Frau Evering mit der flachen Hand abwechselnd auf dem linken und dem rechten Oberschenkel berührt. Damit soll Frau Evering “beruhigt” werden, und es soll “ihrem Gehirn [hervorgehoben von mir, PT] der Zugang und die Verarbeitung vergangener Erlebnisse erleichtern”. Nicht Frau Evering, sondern ihrem Gehirn soll etwas erleichtert werden. – Ein entscheidender Unterschied!

Jetzt geschieht etwas fast schon teuflisch zu nennendes, jedenfalls etwas eklatant Paradoxes, das stark dem gleichzeitigen “Zulassen” und “Halten” von Gefühlen bei meiner Korrespondenzpartnerin ähnelt: Frau Evering – sich darin ermutigt fühlend – beginnt tatsächlich in das damalige Geschehen zu sinken; es ist auch ein Zucken zu sehen. Tiefe, unwillkürliche Gefühle steigen in ihr auf – trotz des störenden Getätschels und Getrommels seitens der Therapeutin. Das zeigt, wie virulent die durch das Trauma verursachten Gefühle noch sind. Doch sofort – beim Zucken, d.h. beim ersten Erscheinen einer (“vegetativen”, würden Dugin und Wilhelm Reich sagen) Reaktion von Frau Evering auf das Erlebte – schreitet die Therapeutin ein und stoppt Frau Evering: “Okay, kommen Sie her, gucken Sie mich an!”, sagt die sie und ergreift beide Hände von Frau Evering. Dann fordert sie Frau Evering auf, “einmal tief ein- und auszuatmen”, und fragt sie danach: “Okay, was nehmen Sie jetzt wahr?”

Wahrscheinlich soll jetzt geschehen, was die Therapeutin  gelernt hat: Frau Evering soll – nach einem kurzen Eintauchen in das Vergangene – dieses “mit ihrem erwachsenen Verstand neu bewerten”. (Wir erinnern uns an eine andere Schülerin: Die “echten Gefühle bleiben nur ein paar Sekunden, um die Information zu kapieren”. Mehr braucht es nicht, und mehr wird Frau Evering auch nicht gestattet.

Frau Evering denkt aber gar nicht daran, diesem Kokolores zu folgen und fühlt sich nach wie vor aufgefordert, zu erzählen.9 Sie integriert nun sogar aktiv das Tätscheln der Therapeutin in ihre Erzählung! Dort ist es ihre kleine Schwester, die sie so an den Oberschenkeln – wohl Hilfe erheischend – anstößt, “und die ist voller Blut.”

Frau Evering weist also das Tätscheln als eine falsche Beruhigung zurück. Sie will sich nicht beruhigen (jedenfalls nicht auf die Art), und die ganze ostpreußische Szenerie entsteht in ihrem Inneren; Frau Evering ist sichtlich bewegt. 

In dem Moment, wo Frau Evering “die Wunde am Kopf ihrer Schwester” sieht, schreitet die Therapeutin erneut ein und labert etwas von “nehmen Sie es einfach mal mit in ihre Gedanken!” – als ob es dort nicht schon längst wäre! Es erinnert an das “es zu haben, ohne etwas damit zu machen” meiner Korrespondenzpartnerin und ist genau so sinnlos.

Frau Evering läßt sich aber nicht abhalten; sie ist im Vergangenen versunken: “Das kann doch nicht wahr sein!”, ruft sie – doch die Therapeutin stört sie sofort erneut mit derselben teuflischen Aufforderung: “Nehmen Sie es mit in ihre Gedanken!” – so, wie sie es in der EMDR-Ausbildung bei Frau Shapiro in den USA gelernt hat.

Warum sage ich “teuflisch”? Weil Frau Frau Evering einerseits ermutigt wird zu erzählen und etwas loszuwerden, andererseits darin gleichzeitig gebremst wird. Etwas dorthin nehmen zu sollen, wo es bereits ist, ist zusätzlich verwirrend.

Frau Shapiro ihrerseits scheint irgendetwas Richtiges bei anderen Psychologen (vielleicht bei Reich, vielleicht bei Janov – auf jeden Fall in deren Fahrwasser) mitbekommen, zumindest einmal die Verbindung von Trauma und aktueller Belastung erahnt zu haben, aber was macht sie daraus? – Sie entwickelt eine Technik, mit der sowohl zum Erzählen aufgefordert wird, als auch zu so etwas wie “Sublimieren” (“mit in die Gedanken nehmen”) – ein “gruseliger” Hokuspokus, der real aber nichts anderes bedeutet, als Frau Evering – objekt-orientiert gesprochen – “beim Prozessieren und Abspulten des Notfallprogramms” zu stören, bzw. sie – subjekt-orientiert gesprochen – an ihrer Selbsteroberung zu hindern.

Beim Erzählen braucht Frau Evering nichts “mit in ihre Gedanken zu nehmen” – sie denkt die ganze Zeit volle Kanüle an nichts anderes! Aber das – dieses echte Denken und Fühlen – wird von der Therapeutin gar nicht (oder nur stark begrenzt) gewollt oder beabsichtigt! Die Therapeutin versteht unter “mit in die Gedanken nehmen” nichts anders als genau das Gegenteil: die Gedanken und die Erzählung zu beenden! Gleichzeitig tatscht sie Frau Evering nun noch stärker und schneller auf den Oberschenkeln herum und redet ihr ein, daß “alles gut ist”.

Frau Evering ist aber schon viel zu sehr in ihren Gefühlen und läßt sich nichts ausreden! Für sie ist das, woran sie gerade denkt und was sie fühlt, gar nicht “gut”. Sie nimmt gottseidank nur die eine Seite des teuflischen Planes wahr (die Redeaufforderung, nicht das ominöse “mit in die Gedanken nehmen”) und bleibt in ihrer Erinnerung. Man sieht, daß sie kurz davor ist zu weinen. 

Da wird die Therapeutin rabiat und befiehlt: “Frau Evering, sehen Sie mich an!”10

Aber alles, was Frau Evering sieht – oder fast sieht (denn davon hält die Therapeutin sie ja ab) –, ist ihre Mutter: “Hoffentlich sehe ich jetzt nicht meine Mutter, die da blutet!” Sie beginnt, tiefer zu atmen, das aber nicht im Sinne der Therapeutin, bei der das künstliche Atemgedöns nur beruhigen soll, sondern spontan: weil ihre Gefühle aufsteigen.

Jetzt geht die Therapeutin zur verbalen Beruhigung und zum endgültigen Ausreden der Erfahrung von Frau Evering über: “Ihre Mutter hat es überlebt, Ihre Schwester hat es überlebt – und Sie auch!” Sie kaut ihre jetzt quasi die “Neubewertung” vor.

Wieder wird ein guter Gedanke eines Psychologen in das genaue Gegenteil verkehrt: Wenn etwas wirklich verschmerzt wird, findet automatisch eine Art “Neubewertung” statt. Aber dafür muß ja erst einmal die Verschmerzung stattfinden! Diese aber wird ja durch die Intervention der Therapeutin verhindert! Die Therapeutin suggeriert Frau Evering jetzt die “Neubewertung” – diese findet nicht in und durch Frau Evering selbst statt! Sie wird ihr eingeredet, und zwar unter Appellation an den “erwachsenen Verstand”.

Das heißt zweierlei: mit Verstand ist hier Geist gemeint. Der Geist (Spirit) kann tatsächlich zur Beruhigung beitragen – das kann man biochemisch im Hirn beobachten – genau so, wie der Sprit (Alkohol) auch ablenken und bei der Verdrängung unterstützen kann. Der Geist in Form von Versatzstücken psychologischer und gehirnphysiologischer Theorien, die zu Ideologemen werden, hat also eine beruhigende Wirkung. Und zum anderen heißt das: “Frau Evering, Sie sind jetzt erwachsen! Also hören Sie jetzt auf damit! Sie sind doch schon groß und haben jetzt einen Verstand! Seien Sie vernünftig!” – Und beides funktioniert sogar in einem gewissen Maße – als Beruhigung und Verdrängung. Am wirklichen inneren Zustand von Frau Evering ändert das aber nichts; den trägt sie weiter in sich: in Form von Unruhe. Die Beruhigung mittels Geist findet also nur auf einer sehr oberflächlichen Ebene statt. 

Doch das teuflische Spiel geht weiter: Die Therapeutin, die gerade noch mit dem Hinweis, daß alle überlebt hätten, beruhigend auf Frau Evering eingewirkt hat (was für sich betrachtet ja nicht unbedingt falsch ist), fordert Frau Evering jetzt unter immer schneller werdendem Getätschel (fast schon wie in Panik) wieder auf, “mit den Gedanken zu gehen”! Es ist jetzt schon klar, wozu das führen wird: Frau Evering wird dem Folge leisten (wozu sie gar nicht aufgefordert werden muß – es ist ihr Bedürfnis, die Geschichte zu erzählen und sie loszuwerden) und im Anschluß daran prompt wieder ausgebremst werden. Frau Evering ist nicht ausreichend mit Psychologie verdorben und nimmt die Aufforderung, “mit den Gedanken zu gehen”, als bare Münze: Lassen Sie ihre Gedanken (und Gefühle) zu!

Diesmal wartet die Therapeutin aber “die Gedanken” von Frau Evering gar nicht erst ab, sondern atmet ihr einmal ein tiefes Atmen vor (Suggestion) und sagt lächelnd: “Frau Evering! [… unverständlich] ausblenden! Sie sind hier, in ihrem schönen Eßzimmer – ja? Mit mir!” Man kann leider nicht verstehen, was die Therapeutin vor “ausblenden” sagt – es hört sich wie “einfach mal” an –, aber es ist ganz offenbar so, daß Frau Evering jetzt die Erinnerungen “ausblenden” soll. Die Therapeutin will offenbar auf diese Art Frau Evering in die Gegenwart zurückholen: in das Erwachsenensein der 80-jährigen, und fragt sie: “Wie fühlt sich das jetzt an?”

Frau Evering, die schon viel zu tief in sich ist und sich partout nicht von der Therapeutin aus ihren Erinnerungen holen lassen will, geht gar nicht auf das Gedöns der Therapeutin ein und ächzt: “Schlimm, weil die Russen überall sind.” Daß Frau Evering hier nicht der Therapeutin in die Gegenwart folgt, ist sehr gut und richtig! Es zeigt, wie sie sich nicht ihre Erfahrung nehmen und ausreden lassen will. Frau Evering widersteht also erfolgreich dem Teufel und dessen wissenschaftlich-psychologischen Techniken.

Jetzt kommt die Therapeutin aber mit einer neuen teuflischen Technik: Sie fragt Frau Evering: “Wo spüren Sie diese Angst?” So, wie sie Frau Evering vorher aufgefordert hat zu erzählen, so soll Frau Evering jetzt noch eine Stufe tiefer in sich gehen und ihre nonverbalen Gefühle wahrnehmen! Der Vorgang wird, wie oben bei meiner Korrespondenzpartnerin, ins Körperliche verlagert und das Teuflische dadurch noch gesteigert: Frau Evering soll noch mehr fühlen, aber gleichzeitig soll sie das Fühlen beenden.

Das “Wo spüren Sie diese Angst?” ist im Ursprung ein produktiver Gedanke eines guten, weil sich subjektiv-orientierenden Psychologen – wird aber in der Praxis von Scharlatanen schändlich in sein Gegenteil verkehrt, denn: So, wie Frau Evering, die jetzt den Schmerz in ihrer Brust und im Bauch fühlt, zuerst aufgefordert wurde, auf der verbalen Ebene “mit den Gedanken zu gehen”, so wird sie jetzt noch tiefer auf körperlich-sensorischer Ebene in den April geschickt: “Konzentrieren Sie sich mal auf Ihre Körperreaktionen nur und bleiben dabei!”11 Denn genau daran wird sie gleich gehindert werden. Das entspricht dem “Das Gefühl zu kartographieren, zu spüren, wo es sitzt, was es macht und wie es sich anfühlt” meiner Korrespondenzpartnerin.

Das noch Teuflischere liegt jetzt in der Tatsache, daß Frau Evering dadurch dem Trauma noch näher, immer näher kommt – aber es wieder nicht “verarbeiten”, also ihre Gefühle nicht “zulassen”, sondern diese nur – wie meine Korrespondenzpartnerin sagt – “beobachten” darf. Ihr Leidensdruck steigt und lechzt nach Entlastung und Entspannung (wo sie ganz automatisch tief Ausatmen würde, ohne daß ihr etwas vorgeatmet werden würde).

Frau Everings “Beobachtung” führt sie noch mehr in die unvergangene Vergangenheit zurück; sie stöhnt und zuckt – während die Therapeutin nichts besseres zu tun hat, als ihr jetzt noch schneller auf den Knien herumzudreschen und ihr zuzurufen: “Okay! Alles altes Zeugs!” Das war wohl damit gemeint, “die Kriegserfahrungen zu durchleben”.

Die Therapeutin fordert Frau Evering perfide zum Wahrnehmen des Schmerzes auf und redet ihr eine Sekunde später genau das aus, was Frau Evering gerade wahrnimmt! Gibt es da nicht einen Mode-Begriff dafür? Nennt man das nicht neuerdings “Gaslighting”?

Die Therapeutin klopft weiter auf Frau Evering ein: “Alles schon lange her!”

Für Frau Evering ist es das aber ganz offensichtlich überhaupt nicht: Sie stöhnt weiter und atmet schwer.

Das will die Therapeutin natürlich unterbinden und befiehlt Frau Evering erneut: “So, geben Sie mir Ihre Hände!” und ruft Frau Evering, die total absent, d.h. in der Vergangenheit versunken ist, zu: “Frau Evering, kommen Sie her! Kommen Sie zu mir! Gucken Sie mich an!” Dabei grinst sie sie an.

“Was ist jetzt?” – die Therapeutin hofft auf einen Therapieerfolg und darauf, daß Frau Evering endlich “in der Gegenwart ankommt” und die Dinge “neu bewertet”. Sie peitscht sie immer wieder abwechselnd in die Vergangenheit und in die Gegenwart zurück. Jetzt soll Frau Evering unbedingt in der Eßküche ankommen. Das Grinsen begleitet und verstärkt den Korruptionsversuch.

“Gucken Sie mich an!” – Frau Evering guckt die Therapeutin tatsächlich an: in einer Mischung aus Verdrießlichkeit (sie will sich nicht verarschen lassen) und um Hilfe bittender Not, weil die Gefühle, von der Therapeutin angeheizt, in ihr – körperlich intensiviert – weiter aufsteigen. Zur Verdrießlichkeit der tätschelnden Therapeutin nun wieder – die schon fast in Frau Evering hineinkriecht – läßt Frau Evering alles andere als eine “Neubewertung in der Gegenwart der Eßküche” erkennen – ganz im Gegenteil: Sie sagt: “Ich habe meine Mutter gefunden. Die blutet so sehr – am Kopf. Und das Blut, das läuft immer runter. Und sie liegt da…” – Frau Evering sinkt trotz der sie haltenden Therapeutinnen-Hände zurück auf ihre Stuhllehne – “… und ist ohnmächtig”. Jetzt fängt die Therapeutin an, wie irre die Oberschenkel von Frau Evering zu streicheln: sie läßt nichts unversucht, Frau Evering davon abzuhalten, wozu sie sie selbst doch gerade aufgefordert hat!

Doch Frau Evering macht weiter: “Und im Hintergrund geht die Tür schon wieder auf, und die Russen kommen schon wieder rein. Ich muß meine Mutter schnell retten!”

Die Therapeutin, die sich offenbar geschlagen gibt, schlüpft jetzt wieder zurück in die Rolle der Anheizerin: “Was tun Sie jetzt als nächstes? Schauen Sie hin!” Diese Aufforderung ist aber wieder teuflisch. “Schauen Sie hin!” ist eine völlig überflüssige, störende und deswegen eine Aufforderung, die das Gegenteil bewirken soll.

Frau Evering, die immer tiefer atmet und voll im alten Geschehen ist und überhaupt nicht aufgefordert werden muß – in Wahrheit ist die Aufforderung wie das permanente Getätschel eine Ablenkung –, Frau Evering sagt nun: “Ich habe meine Mutter hochgehoben und sie umarmt, und sie liegt in meinen Armen, und ich bin jetzt auch voller Blut. Das läuft an meinem Pullover runter…” – die Therapeutin drischt dazu weiter auf den Oberschenkeln herum – “… Ich bin auch voll Blut.” Und hier schrickt Frau Evering auf, doch sogleich eilt die Therapeutin wie die Feuerwehr herbei: “Okay!”, und schnappt sich wieder Frau Everings Hände: “So!” – Sie freut sich, daß sie Frau Evering eingefangen hat und festhält, und grinst sie an und sagt teuflisch:

“Es war eine ganz schwere Zeit!”, während Frau Evering zu weinen anfangen will und “Ja, für mich, ja!” sagt.

Darauf spricht der Profi: “Sie waren ja noch ein Kind.” – Da klingt er wieder an, der Appell an die Erwachsene und daß diese doch bitte endlich alles “neu bewerten” soll.

Jetzt schleimt sie sich ein, um ihre Suggestionen wirksam zu machen: “Und Sie haben ganz Großartiges geleistet: Sie haben Ihre Mutter gerettet. Wissen Sie noch?”

Frau Evering ist aber trotzdem zufrieden, sie fühlt sich nach der Behandlung “ganz ruhig, sehr sehr wohl”. Der Korruptionsversuch der Therapeutin war erfolgreich. Neben einer tatsächlichen gewissen Zufriedenheit wird hier wohl auch jenes bekannte Phänomen einer gegenseitig-korrumptiven Komplizenschaft von Patientin und Therapeutin – eines geheim verabredeten Erfolges – vorliegen. Wenn sie sich jetzt als zufrieden äußert, dann aber sicher auch aus Dankbarkeit und Anerkennung der Therapeutin gegenüber, deren eine Hälfte ihr ja immerhin ein teilweises Verschmerzen eingeräumt hat – das sich Frau Evering allerdings gegen die andere Hälfte der Therapeutin erobern mußte. Frau Evering weiß nicht, daß sie auch hätte weinen und alles völlig ungestört aussprechen – und am Ende noch viel mehr Ruhe hätte finden können. Sie kann jedenfalls mit sich selbst insofern zufrieden sein, daß sie sich gegen die Therapeutin durchgesetzt hat, die – das sei wiederholt – durchaus gute und zu würdigende Ansätze hat, auch wenn sie sie selbst konterkariert, was zu jener teuflischen Situation führt.


8

Kommen wir wieder zum Emailaustausch zurück. Dort war zuletzt von den “Emotionen” die Rede, die aus dem “Steckenbleiben” des “Notfallprogramms resultieren”. Weiter schreibt meine Korrespondenzpartnerin:

“Die Emotionen lösen sich aber, wenn ich das mit dem ‘still fühlen, ohne was damit zu machen’ mache. Als ich das das erste Mal gemacht habe, habe ich allerdings tatsächlich gedacht, ich sterbe jetzt. Ich bin sogar bis zu dem Moment gekommen, wo ‘Ohnmacht’ einsetzt (Faint). Das Zimmer ist gekippt, und es wurde dunkel, aber dann kickte so ein ‘Blitz’ rein, und ich war wieder da. Aber mir gelingt das Nicht-ausagieren nicht immer.”

Hier beschreibt sie also noch einmal, was wirklich fühlen anstatt ausagieren, ihrer Meinung nach ist. Woran sie fast gestorben ist, sind nicht Gefühle – denn die werden ja “still” “gehalten” –, sondern höchstwahrscheinlich gerade das Nicht-fühlen bei gleichzeitiger Scheinbejahung der Gefühle. Das kann zu einem Zerreißen (Sterben) führen. Frau Evering hatte diese Gefahr erfolgreicher abgewendet, indem sie ihre Gedanken und Gefühle wenigstens etwas fließen lassen hat. Das “Nicht-ausagieren” ist ein heroisches und irre machendes Ankämpfen gegen die Gefühle.

Das “Nicht-ausagieren”, also das “wahre Fühlen” gelingt ihr nicht immer, aber immer besser: “Ich baue aber an meiner Kapazität, Gefühle (oder Emotionen) zu ‘halten’ und Gefühle auf ihren Informationsgehalt zu untersuchen (wenn ich das hinkriege, ich bin KEIN Meister!). Das geht mit einer Art ‘Orientierungstraining’, damit das Nervensystem mitkriegt, dass jetzt jetzt ist und nicht früher. Und das funktioniert auch, wenn auch langsam.”

Die Objektivierung feiert jetzt fröhliche Urständ, und entsprechend nähert sich die Verwirrung dem Höhepunkt. Meine Korrespondenzpartnerin lernt nicht nur immer mehr, wie sie die Gefühle “hält”, also kontrolliert und nicht zuläßt, sondern entwickelt jetzt noch weitere – geistigen bzw. “zerebralen”, wie Nasselstein sagt – Techniken im Umgang mit den drängenden Gefühlen: Zum “Beobachten und Kartographieren der Gefühle” kommt jetzt das “Orientierungstraining”.

Sie sieht sich selbst die ganze Zeit als Objekt. Nicht nur, daß sie ihre Gefühle als Objekt beobachtet anstatt sie zu haben, zu integrieren, sie loszuwerden und somit zu einem stärkeren Subjekt zu werden – sie denkt jetzt sogar, daß sie ihrem eigenen Nervensystem Signale geben kann: einem Objekt im Objekt. Offenbar entspricht das dem Punkt, an dem Frau Evering ihre eigenen Gefühle “mit ihrem erwachsenen Verstand neu bewerten” soll. Meine Korrespondenzpartnerin “trainiert” sich jetzt selbst, d.h. sie programmiert ihren Glauben: Jetzt glaubt sie, daß ihr Nervensystem (Objekt) das Gestern vom Heute unterscheiden kann. Was mit ihr selbst (Subjekt) lost ist, spielt inzwischen gar keine Rolle mehr. Und der Witz – oder das “Gruselige” – an der Sache ist, daß das tatsächlich in einem gewissen Maße funktioniert: Die Objekt-Orientierung hilft ihr dabei, den psychologischen Glauben zu stärken bzw. ist mit diesem identisch: “Wenn ich merke, dass ich ‘ausagiere’, weiß ich nur, dass mein System gerade überfordert ist, dass das, was ‘da’ ist, meine Kapazitäten sprengt.” Nicht “ich bin überfordert” (Subjekt), sondern “mein System”.

“Wenn ich den Tankwart anschreie zum Beispiel, weil er will, dass ich eine Maske aufsetze. Wenn ich ihn NICHT anschreie, sondern reinspüre, wie sich das, was ‘da’ ist, anfühlt, merke ich, wie mächtig das ist, wie überwältigend, wie ‘schlimm’. Das fühlt sich aber nur so an, weil es eine Erinnerung ist (zu impliziten Erinnerungen hat man aber keine Bilder!).”

Sie hat eine Ahnung von ihren echten Gefühlen (“schlimm”), aber diese werden sofort als “eine Erinnerung” objektiviert, abgetan und vernichtet, d.h. in psychologischen Glauben verwandelt. Ihr psychologischer Geist hilft ihr dabei, die “schlimmen” Gefühle in Schach zu halten.

“Genauso Trauer. Ich finde auch meistens, wo es herkommt, ich frage dann (also mich selber) ‘was ist deine früheste Erinnerung, wo du dieses Gefühl so mächtig zum ersten Mal hattest?'”.

Mit einer imaginären kognitiven Zuordnung in eine Glaubenssystem gelingt es ihr, das Gefühl zu unterdrücken. Sie “weiß” ja jetzt, wo es herkommt: dieses “Wissen”, d.h. dieser Glaube macht sie stark gegen das Gefühl. 

“Es kommt dann was, man darf aber nicht nachdenken, man muss nehmen, was kommt. Und dann gucken, was die damalige Situation und die heutige Situation gemeinsam haben.”

Eine gedankliche Anstrengung, der brave Glaube an die Psychologie und der Gehorsam helfen ihr weiter, das Gefühl nicht zu fühlen, dieses Nicht-Fühlen aber als Nicht-Ausagieren, also als Fühlen zu bezeichnen: das ist der ultimative Schulterschlag durch die wissenschaftlichen Hohepriester: das Fühlen.

Es liegt auf der Hand, daß sie die ganze Zeit ihre Gefühle mittels Intellekt ausagiert bzw. “intellektuell abwehrt”, wie Nasselstein sagt – um mal diese Begriffe als zum rationalen Kern der Psychologie gehörig zu benutzen.

Zu ihrer Aussage “… weil man mit der Angst konfrontiert wird, dass man jetzt stirbt. Das wollen die meisten Menschen nicht fühlen, davor haben sie Angst. Damit können sie die Erfahrung nicht machen, dass ihr Körper sie nicht sterben lässt” schrieb ich: “Ganz genau! Kenne ich sehr gut, lasse ich auch alles zu… Ab 3:3012.”

Ich fragte sie nun erneut: “Wenn ‘Emotionen nicht oder nicht zu Ende gefühlte Gefühle aus der Vergangenheit sind’, dann würde mich mal interessieren, wie dieses ‘Zu-Ende-Fühlen’ aussieht. Ist es das, was Du mit ‘sie beobachten und sie sozusagen ‘still’ fühlen’ bezeichnest?”

Noch etwas mehr verunsichert, aber beim “Ausagieren” bleibend – und deswegen noch mehr in die Verwirrung geratend –, antwortete sie mir darauf: “Aber was ich fragen möchte: wenn ich ‘ausagiere’ (um das Wort zu benutzen, mir ist noch kein besseres eingefallen), merke ich (manchmal – insbes. bei Wut), dass mein Fokus zu dem geht, was ich tue. Er geht weg von dem, was mein Tun hervorruft (die Emotion). Es ist tatsächlich so, dass ich dann im Moment des Tuns weniger fühle. Und dass ich intensiver fühle, wenn ich nicht tue. Deshalb das ‘nicht tun muss ich erstmal KÖNNEN, weil das bedeutet, dass ich mehr fühlen KÖNNEN muss’ (können im Sinne von fähig sein).

Ist das bei Dir dann so, dass Du sozusagen einen zweifachen Fokus hast bzw. dass Dich ein ‘Ausagieren’ NICHT vom Fühlen ‘abzieht’?”

Ich mußte ihr dann per Sprachnachricht antworten, daß ich keinen “zweifachen Fokus” habe und im übrigen ich nicht verstünde, wovon sie spricht. (Ich, der ich unter gewissen Spaltungen gelitten habe, schätze mich glücklich, diese Art Spaltung nicht mehr verstehen zu können.) Ihr und ihrer psychologischen Sprache entgegenkommend, sagte ich ihr, daß das “Ausagieren” immer der erste Schritt ins richtige Fühlen ist. Im übrigen täte es mir leid, wenn ich nichts mit Wissenschaft (zu der auch Psychologie gehöre) anfangen könne und wolle.

Sie antwortete: “Ich mag Wissenschaft sehr, auch wenn man darüber streiten kann. Vielleicht sogar, weil man darüber streiten kann.”

Darauf schrieb ich ihr abschließend, daß ich kein Interesse an Wissenschaft habe: “Wissenschaft ist ein Faß ohne Boden… Die Wissenschaftler versuchen das Leben zu erfassen, jeder an einer anderen Stelle… – streiten sich: Der eine hat Moleküle, der andere hat Mitochondrien, der eine Parasympathikus, der andere Cortisol usw. – und stochern doch nur sinnlos in einem tiefen, tiefen Ozean herum… – völlig sinnlos… Denn kein solches von ihnen geschaffenes ‘Wissen’ kann je irgendwas an unseren Zuständen ändern. Die einzige ‘Heilung’ ist VITALITÄT: das ist der tiefe Ozean in uns, demgegenüber jede Wissenschaft, Medizin usw. lächerlich ist, erst recht völlig überflüssig. In der Vitalität gibt es keine ‘Krankheit’. Lebendigkeit und Liebe – mehr braucht man nicht an Wissenschaft…”


9

Das schizophrene Nebeneinander von “Gefühle zulassen” und gleichzeitig “halten” ist der Inbegriff der Entfremdung und ein Ergebnis von Beschäftigung eines leidenden Subjekts mit Psychologie als objekt-orientierter Ontologie. Konkret hat die Traumatologie als Theorie und Praxis gute und zu würdigende Ansätze, bleibt aber in der Inkonsequenz stecken und wird dadurch zwangsläufig schizoidierend und toxisch. Die guten Ansätze der Traumatologie – wie die anderer humanistischer Schulen  – werden vom Subjekt als geistige Droge benutzt, sich selbst zu entkommen anstatt sich selbst anzunehmen. Es geht nicht darum, das Verständnis der nur ansatzweise subjekt-orientierten Theorien durch das leidende Subjekt zu verbessern, sondern darum, diese Theorien zu verbessern, d.h. sie zu entobjektivieren bzw. abzuschaffen, sie zumindest neu zu orientieren, nämlich subjektwärts.

Das gleiche gilt aber auch für die Ontologie als philosophischer Disziplin, die a priori reine, interventionslose Reflektion, aber für den Philosophen selbst und sein Publikum dennoch wirksam ist. Dugin ist für einen Wandel von der objekt-orientierten Ontologie hin zu einer subjekt-orientierten Ontologie. Wenn dies konsequent und radikal geschieht, läuft das aber auf die Abschaffung der Ontologie selbst hinaus; dann bleibt nur noch das Ón übrig. Die subjekt-orientierte Ontologie hat dennoch ihre großen Verdienste, die gewürdigt werden müssen und eine notwendige Vorstufe für eine über sie hinwegführenden Entwicklung zur Post-Ontologie sind.

 

1 Traumaturgie – ein Erklärungsansatz, warum sich jetzt unsere Intelligenz als kastriert erweist

http://blog.peter-toepfer.de/allgemein/die-laehmungszwinge-aus-todesangst-und-kokon-hilfloser-erklaerungsversuch/

2 Todestraurigkeit: https://www.youtube.com/watch?v=a99C5OaNLLI&list=PLvnPNlSwjOOkvXe0WSTmvOxZ7jptIlkm7

; Sterbens-Angst: https://youtu.be/4HcZPP3wqms

3 Befreiungs-Urschrei: https://www.youtube.com/watch?v=MBWhfAeWqBI

4 https://nachrichtenbrief.com/2022/07/04/antiorgontherapie-teil-1/#comment-156038

5 Mutter, Ehefrau, Kriegskind – WDR Doku. Ein Film für “Menschen hautnah” von Dorothe Dörholt (2013). Ich werde evtl. diese Sendung in einem Video kommentieren; bitte bei Interesse später auf dem Youtube-Kanal des IfTW  oder auf http://tiefenwahrheit.de/ nachschauen.

6 EMDR: Eye Movement Desensitization and Reprocessing, https://de.wikipedia.org/wiki/Eye_Movement_Desensitization_and_Reprocessing

7 Direktlink zu 17:50: https://youtu.be/2R1JZH7naqg?t=1072

8 Direktlink: https://youtu.be/2R1JZH7naqg?t=1169

9 Direktlink zu 20:10: https://youtu.be/2R1JZH7naqg?t=1210

10 Direkt link zu 20:39: https://youtu.be/2R1JZH7naqg?t=1239

11 Direktlink zu 21:34: https://youtu.be/2R1JZH7naqg?t=1294

12 Katalog der Gefühle Teil 5: Sterbens-Angst

 




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