Vorwort/Kommentar Dugin Heimat 7: Die Implosion des modernen Individuums


Text-Fassung “Dugin Heimat” 7
Video-Fassung “Dugin Heimat” 7

In meinem Vorwort “Das Radikale Subjekt als Katechon” zu Alexander Dugins Buch “Eurasische Mission” (Arktos London 2022) schreibe ich: “Dugin schlägt die einzig richtige Heilung des Liberalen von seiner Wesenskern- und Wurzellosigkeit vor: die ‘Implosion des Individuums’. Für Dugin ‘ist der Begriff des Individuums ein soziales Konzept. Ein Mensch, der außerhalb einer Gesellschaft lebt, weiß nicht, ob er ein Individuum ist oder nicht’. Doch in seiner subtilen Individualismus-Kritik wird er dem Individuum mehr gerecht als der Individualismus. Die ‘Implosion des Individuums’ ist in gewisser Weise die des Wilhelm-Reich’schen Charakterpanzers. Die Dugin’schen drei Arten von Identität entsprechen den drei Schichten der modernen Person nach Reich: Die dritte, äußere, ist das heidegger’sche ‘man’ (die diffuse Identität), die mittlere Schicht ist die irrationale und destruktive Revolte gegen das ‘man’ (die extreme Identität), und die Tiefenschicht, der Kern, ist das authentische [Radikale] Subjekt (die tiefe Identität).”

Welcher ist nun der Moment, wo das moderne Individuum zur “Implosion” (Dugin) kommt? – Es ist der Moment, wo es sich dem Heiligen genähert, sich ihm gegenüber geöffnet hat und nun am Tor zum Intimen steht, durch das es jetzt eintritt in die Welt der Gefühle: Das ist der Moment, wo es “implodiert”. Hier wird aus dem Transzendenten (“heilig”) das Immanente (“intim”) – das Immanent-Intime liegt dem Transzendent-Heiligen zugrunde.

Im Gegensatz zu Dugin, der für die Implosion des modernen Individuums die “Selbsttranszendenz” in Erwägung zieht – genauer gesagt die indische Meditationstechnik “Advaita Vedanta” (siehe das Gesamtvorwort zur Video-Reihe “Dugin Heimat” [1]) –, gehe ich den Weg der “radikalen Immanenz”: ein Dugin’scher Begriff, mit dem die irdischsten, profansten, normalsten, ordinärsten, vulgärsten, alltäglichsten Dinge gemeint sind.

Das Geniale an Dugin ist, daß er ein chaotischer Denker ist, d.h. er denkt tief aus dem Chaos heraus. Er läßt alles Denkbare zu und bildet von dort her seine Theorien.

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Das führt nicht selten zu Widersprüchlichkeiten. Aber diese chaotischen Widersprüchlichkeiten müssen begrüßt werden; sie sind allemal unendlich besser als zwar unwidersprüchliches, dafür aber oberflächliches Denken. Nur aus ihnen heraus kann kohärentes Denken in der Tiefe entstehen – was gleichwohl unser Ziel bleiben muß: die Einheitlichkeit des Denkens und Fühlens und damit des Daseins.

Zum Erreichen dieses Zieles der Bewältigung der Krise des modernen Individuums befürworte ich die “radikale Immanenz”, die ich aber “das Unterwinden” nenne. “Überwinden” ist die transzendente Variante der Krisenbewältigung. Sie hat den Nachteil des Über-sich-Hinweggehens – dadurch zielt das Subjekt an sich vorbei, geschweige denn, daß es seine Identität vertieft. Beim Überwinden gerät man in eine noch größere Abgehobenheit, als sie das moderne Individuum schon auszeichnet.

Radikale Immanenz und Unterwindung heißt nun genau das Gegenteil des Sich-Ablösens nach oben: Es heißt, nach unten in die Dinge und in die Wahrheit hineingehen und dabei auftretende Gefühle zuzulassen, wie verpönt oder sonst wie abgewehrt diese auch seien. Die Gefühle müssen “integriert” werden, d.h. zum Ganzen, zum Dasein hinzukommen. Dann werden aus dubiosen Subjekten integre Subjekte.

Das Zulassen und Fühlen der intimsten und sensibelsten Dinge bewirkt “authentische” (Dugin) Daseinsmomente. Man entdeckt diese sowohl in der Gegenwart, als auch führen sie einen zu den wenigen Augenblicken echten Daseins in der Vergangenheit zurück. Das wiederum verstärkt das Dasein in der Gegenwart.

Die Folge ist eine Verortung, denn das präzise Dasein ist immer konkret örtlich. Selbst die Eltern, die mangels Kontakt Entfremdung und Nicht-Dasein bewirkt haben, werden nun wieder zum Ort des positiven Daseins (“Nestwärme”). Das Subjekt verbindet sich mit seinem Elternhaus und identifiziert sich mit seinen Eltern auf geruchssinnliche Weise (“Stallgeruch”), d.h. auf “tiefster, vegetativer Ebene” (Dugin). Die mangelnde Liebe wurde verschmerzt, und man macht das beste aus dem restlichen Leben.


[1] Peter Töpfer: Schriftliches Vorwort zur Video-Reihe „Rekonstitution und Radikalisierung des nihilisierten Subjekts“ (31.07.2022)

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