Wer ist Kandidat für die Tiefenwahrheit?
Wer nun ist Kandidat für die Tiefenwahrsagerei und wer nicht? Was ist der Unterschied zwischen einem, der sich der Tiefenwahrsagerei hingibt, und einem, der das nicht tut?
Es wird wenige geben, die die Ausführungen auf diesen Internetseiten nicht nachvollziehen können oder die getätigten Aussagen ablehnen werden. Aber dennoch entschließen sich ebenfalls nur wenige, den Schritt von der Theorie zur Praxis zu machen, den Schritt von der Vorstellung, wie es wäre, wenn ich die Wahrheit zulassen und die Wahrheit über mein Leben bestimmen lasse. Die meisten wurschteln so weiter wie bisher, klammern sich an kurze Momente der Besserung, sinken aber immer wieder in ihr Elend zurück.
Sie werden sich nie sagen: „Potzblitz, dann mache ich das jetzt! Dann lasse ich die tiefe Wahrheit jetzt tatsächlich einziehen und sich durchsetzen.“ Nein, sie bleiben lieber im Modus der Hoffnung oder entwickeln jenseitige Gesichte, träumen vom Himmelreich nach dem Tod usw.
Es ist wie beim Rafting: ich kann zusehen – aber ich kann auch plötzlich sagen: Ok, jetzt setze ich mich ins Schlauchboot und stürze mich das Wildwasser hinunter. Und irgendwann verlasse ich sogar das Boot und mich wirbelt es direkt durchs Wasser. Mal sehen, wie ich dann unten ankomme. Auf jeden Fall ganz anders, als wäre ich oben stehen geblieben.
Es geht an unserem Institut für Tiefenwahrheit um die Praxis. Gesprochen und geschrieben ist genug worden. Einmal muß ich doch ins Wasser springen und das falsche Leben beenden. Was ist denn das für ein Zustand, wenn ich so weitermache bis zu meinem Tod!
Der ideale Kandidat für die Tiefenwahrsagerei ist der, der einfach nur seine Wahrheit sagen und gründlich aussprechen möchte; der in der Wahrheit selbst und allein schon eine Qualität (um nicht zu sagen: eine Tugend) sieht. Dieser Kandidat hat das starke Bedürfnis danach und weiß auch, daß, wenn er es befriedigt, es ihm besser geht und er zumindest mehr Ausgeglichenheit und weniger Qual haben wird. Er hat eine starke Ahnung, daß das eine Veränderung seines Lebens zum Guten hin bewirkt.
Ein Mensch, der ein anderes Leben führen möchte als das, was er gerade führt und eine Veränderung haben möchte, ist weniger wahrscheinlich Kandidat für die Tiefenwahrheit. Es ist aber gut möglich, daß er auch in die Tiefenwahrsagerei kommt, weil er von den Angeboten, die er zur Veränderung seines Zustandes wahrgenommen hat, enttäuscht ist; er kommt erst dann, wenn nichts anderes mehr hilft.
Die meisten Menschen sind innerlich davon überzeugt, daß sie etwas tun müssen, daß sie ihr Leben verändern müssen, daß sie die Wahrheit aktiv aussprechen und zulassen müssen. Aber sie schieben es stets vor sich her und hinaus in eine Zukunft, in der es immer wieder – eine neue Zukunft geben wird. Sie denken: Ach, das wird sich schon ergeben, es wird schon alles gut werden, das wird sich schon irgendwann mal tun. Sie verdrängen die Tatsache, daß etwas passieren muß, daß sie in ihr Leben aktiv eingreifen müssen.
Sie denken, sie kommen ohne einen gewissen Input aus, und daß sie um eine bewußte Entscheidung und um einen konkreten Handlungsbeginn herum kommen.
Lieber nehmen sie Zuflucht in religiöse Vorstellungen, warten darauf, daß es im Himmel losgeht, das richtige Leben. Sie doktern an sich herum, schieben ihre Malaisen auf ihren „Körper“. Sie wissen genau, daß eine Tabula rasa, eine gründliche Ausmistung ihren Körper auf Vordermann bringen würde und daß sie einfach nur auf ihren Körper hören und ihm folgen müßten, damit dieser nicht mehr „krank“ werde. Wenn ich meinem Körper in alle Emotionen folge, dann wird er gründlich aufgeräumt und neu eingestellt, auf Natürlichkeit und auf sich selbst eingestellt. Dann steht nichts mehr zwischen mir und meinem Körper, dann sind wir eins, und dann funktioniert er auch problemlos. Wer sich auf die Tiefenwahrheit einläßt, wird schnell sehen, daß unsere Existenz und unsere geheimsten Gedanken identisch mit unserem Körper sind und daß unser Körper so viel aufbewahrt von früher, das man loswerden sollte. Laßt ihn nur endlich reagieren, laßt ihn alles ausspucken und herausschlagen, was ihn belastet und fertig macht.
Andere sind immer nur auf der Flucht nach vorn, begehen immer wieder dieselben Fehler, stecken in Lebenslügen, aus denen sie glauben, nicht herauszukommen. Sie gleichen Hamstern in Laufrädern und sind im Prinzip verloren.
Allen ist gemeinsam, daß sie ahnen, daß sie ihr Leben ändern sollten, und auch ahnen, daß das möglich ist. Es gibt für die Passivität und dafür, daß sie gegen ihr Wissen handeln, eine Erklärung: Es ist ungewohnt, es ist neu, es wäre ungewöhnlich, wäre anders – all dies. Aber hinter diesem Mißtrauen steckt nur eins: Angst. Barbarische, mörderische Angst.
So wie viele wissen, daß sie das falsche Leben führen, so wissen sie aber nicht, daß es möglich ist, ein richtiges Leben, ein Leben in Übereinstimmung mit der inneren tiefen Wahrheit zu führen. Sie wissen nicht, daß man die Angst unterwinden kann, zulassen kann, in aller Ruhe annehmen kann, um dann nach und nach zu den eigentlichen Dingen vorzustoßen. Warum wissen sie das nicht? – Weil die ganze Menschheit seit Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden falsch lebt und die Lüge über sich herrschen läßt. Dabei ist es so einfach, damit aufzuhören – man muß es nur tun.
Aber dieses Tun ist dann mit Turbulenzen und Quälereien verbunden; es wird weh tun. Dieser Schmerz rührt aus ganz frühen Zeiten her, als wir gezwungen waren, das zu verleugnen, was wir brauchen: da begann die Lüge in uns einzuziehen. Seither leben wir nicht mehr in unserer Wahrheit. Aber der Schmerz ist noch in uns, noch nicht verschmerzt. Wir versuchen immer wieder, das zu bekommen, was wir damals nicht bekamen, wir hören nicht auf, darum zu kämpfen. Dabei ist dieser Kampf völlig sinnlos: wir können es nicht mehr bekommen, die Zeit ist ein für alle male vorbei. Was wir aber bekommen können, ist, daß wir alles sagen, alles endlich aussprechen und hinausschreien können, was uns angetan wurde und was uns vorenthalten wurde. Das konnten wir damals nicht, das wollte niemand hören; wir mußten verstummen. Hätten wir es gekonnt, wären wir ganz, also heile geblieben und wären heute nicht gespalten in wahr und falsch. Aber das hat man uns nicht gestattet.
Es sind eigentlich „nur“ alte Wahrheiten, die ausgesprochen werden müssen. Aber das sind sehr schmerzliche Wahrheiten. Die Menschen heutzutage wissen nicht, daß das möglich ist. Ist es aber. Sie wissen nicht, daß man diesen Schmerz aushalten und abfließen lassen kann. Er verläßt dann unseren Körper. Die Menschen können sich nicht vorstellen, daß man diesen Schmerz hinausschreien kann, und daß jemand dabei sein kann, dem man alles erzählen kann, der sich das alles ruhig anhört – der Wahrheitsassistent. Danach wird die Welt anders aussehen.
Soweit ein erneuter kleiner Ausflug in die Psychologie. Aber wir denken daran: die Tiefenwahrsagerei hat nichts mit Psychologie zu tun, sondern nur mit der Praxis des Aussprechens und Auskotzens der nackten Wahrheit („Wenn die Wahrheit zu stark ist, kotzt man sie aus“, Julien Green). Wir spekulieren und labern nicht über unsere „alten Wahrheiten“, wie sie es in ihren psychotherapeutischen Praxen tun. Diese „alten Wahrheiten“ haben sich transformiert und haben aktuell andere, neue, eigene Gestalten angenommen – das sind die Wahrheiten, die uns interessieren: die aktuellen. Dort liegt das Echte, das Wahre. Wenn du sagst, wie es ist, dann rücktransformieren sich diese transformierten Wahrheiten, und du kommst an die Quelle deines Elends an: die Wahrheit über dein Leben. Aber wenn du abkürzen und die aktuellen Wahrheiten überspringen willst (wie sie es in der Psychotherapie tun), landest du nie in deiner Tiefenwahrheit – weil du ja von Anfang an der Wahrheit ausweichst.
Wir sprechen also gerade Menschen an, die erkannt haben, daß ihnen mit einem psychotherapeutischen Angebot nicht zu helfen ist, weil sie es als zu flach erachten, die aber begreifen, daß das Kind nicht mit dem Bade ausgegossen werden muß, d.h. daß es sehr wohl etwas gibt, das im Zustand einer diffusen Unzufriedenheit und bei der weiteren Lebensgestaltung behilflich sein kann.
Es gibt Menschen, die den Prozeß des Wahrwerdens alleine vollziehen können, die also alleine wahrsagen können und ihre eigene Wahrsagerei haben, ohne einen Wahrsageassistenten zu brauchen. Ich kann persönlich bestätigen und bezeugen, daß es solche Menschen gibt. (Ich gehöre nicht zu ihnen.) Damit will ich sagen, daß es die Tiefenwahrheit selbstverständlich auch jenseits der Tiefenwahrsagerei gibt.
Desgleichen können auch gute Freunde oder Familienangehörige sehr wohl Assistenten der Tiefenwahrheit sein.
Wie dem auch sei, derjenige aber, der in die Tiefenwahrsagerei kommt, wird sich dort dem Assistenten genau so öffnen wie einem Familienmitglied oder Freund. Er wird Fühlung mit seiner wahren Person aufnehmen, sich wieder an diese gewöhnen und sich nach und nach mit ihr identifizieren. Er läßt sich auf seine wahren Gefühle ein, anerkennt sie als die seinen und überläßt ihnen nach und nach die Führung über sein Leben. Das, was er wirklich in sich und seinem Körper fühlt, stellt seine wahre Person dar, sonst nichts. Bevor er ganz er selbst ist, bevor Geist und Körper eine Einheit bilden, durchläuft der Kandidat einen Entdeckungsprozeß; dieser Prozeß ist absolut offen: seine innere Wahrheit und die Signale seiner Gefühle und seines Körpers steuern diesen Prozeß und führen ihn da hin, wohin sie ihn führen; er kann ihnen nur zustimmen.
Kein Bild, kein Begriff, keine Idee von dem, was er zu sein hätte, was er glaubt darstellen zu müssen usw. wird diesen Prozeß aus einem Ideal heraus leiten. Die Versuchung, einem solchen Ideal oder einer Vorgabe von außen zu folgen, ist nicht gering, weil Konflikten aus dem Weg gegangen wird und viele Menschen die Verantwortung für ihr Leben gern abgeben. Diese Vorgaben oder Ideale kompromittieren die wahre Person, d.h. sie bringen die Person in Versuchung, nicht auf sich selbst, sondern auf andere zu hören und damit in Zerrissenheit zu verbleiben. Die Aussicht auf Belohnung für braves, aber der wahren Person gegenüber fremdes Verhalten, besticht die Person als Gesamtheit und läßt sie ein falsches, sich selbst widersprechendes Verhalten entwickeln.
Dem Kandidaten geht es nicht darum, daß er von der Wahrheit etwas hat, daß sie ihm etwas bringt, daß es ihm besser geht oder er sonst einen Nutzen davon hat, auf sich selbst zu hören und der inneren, der tieferen, der eigenen Stimme zu folgen.
Wohl dem, der wie selbstverständlich davon ausgeht, daß, seiner inneren Wahrheit zu folgen und mit sich selbst im reinen zu sein, einen Zustand von Wohlbefinden bewirkt.
Die Regel ist dies nicht; für die meisten Menschen steht fest, daß sie sich für irgendetwas zu opfern hätten, daß „Egoismus“ eine schlechte Sache sei usw. Sie ziehen die Konfliktlosigkeit der Lebendigkeit vor. Es ist dann aber kein Wunder, wenn Krankheiten grassieren, denn gegen seine innere Stimme, gegen seine wahren Gefühle, d.h. aber gegen seinen Körper anzuleben, heißt nichts anderes, als diesen Körper permanent unter Spannung zu setzen, permanent eine Last auf ihn zu legen, worunter er früher oder später kaputtgehen oder zerbrechen muß.
Die Möglichkeit, daß jemand den Prozeß der Tiefenwahrheit für sich in Erwägung zieht und ihn zu einem Erfolg führt, hängt sicherlich davon ab, welcher Lebenswille im Kandidaten noch vorhanden ist und über welchen Grundstock an Vitalität er verfügt, sprich: ob er sich durch die Erfahrung von – und sei es noch so wenig – Liebe in seiner Kindheit eine irgendwie positive Lebenseinstellung bewahren konnte.
Dann sagt er sich: Nichts bringt etwas, alles ist enttäuschend, aber ich weiß irgendwo in mir, daß es mir eigentlich besser gehen sollte und tatsächlich besser gehen kann.
Dieser Funke an Überzeugung und Glaube an sich selbst führt ihn dazu, in dem die einzige Hoffnung zu finden, was ihm tatsächlich Verbesserung bringt: die nackte Wahrheit. Auch wenn diese sehr schmerzhaft ist.
Sich ständig in Spannung zu fühlen, was eine Qual sein kann, kann damit zu tun haben, daß man sich etwas vormacht. Manch einer kann nur den Verdacht nicht loswerden, daß er sich etwas vormacht, und nun hat er einfach nur die Schnauze voll davon, er will endlich noch mal in seinem Leben in einem Zustand sein, wo er nicht mehr diese Qual fühlen will.
Ein anderer wird für sich als Ziel formulieren, realistischer der Welt zu begegnen, sich realistischer in dieser zu bewegen, um darin erfolgreicher zu sein.