Kommentar zu “Dugin Heimat” 2. Teil: Chor der Hertha-Fans 


Rekonstitution und Radikalisierung des nihilisierten Subjekts. Das Entstehen von Zugehörigkeit – die Entdeckung der Heimat. Zu Alexander Dugin: >Eurasische Mission< (Arktos London 2022). Mit einem Vorwort “Das Radikale Subjekt als Katechon” von Peter Töpfer

Text-Fassung Chor der Hertha-Fans, Video-Fassung, zusammengefaßter Inhalt

Kommentare und Theoretisches zum 2. Teil der Video-Reihe: Der Chor der Hertha-Fans. Ein Durchdringen in neun Anläufen und ein Résumé:

Vom Erörtern zur Verortung – Zustände und Vorgänge, die sich in neun Anläufen wiederholen bzw. vertieft und erreicht werden (Spiralität).

Eine scheinbar unbedeutende Werbung für den Fußballklub Hertha BSC Westberlin, nachts zufällig im Radio vernommen, löst unversehens beträchtliche Gefühle aus. Tags darauf, in einer Stunde der Tiefenwahrheit, stellen sich genauerer Inhalt und Bedeutung heraus.

Es ergibt sich eine Erzählung von der Erlangung von Zugehörigkeit: ein herantastendes und nach und nach vertiefendes Annähern in mehreren Anläufen an die Frage der Anbindung an eine lebendige Menschengruppe.

Es wird die Geschichte eines schwierigen Herausrückens mit der Sprache erzählt. Schwierig, weil mit der Sprache Gefühle kommen, das Subjekt aber gegen Gefühle, die zu schmerzlich sind, gepanzert ist. Die Geschichte eines langsamen Durchbruchs oder besser gesagt Durchdringens einer Mauer aus Abwertung, Geringschätzung und Schweigen. Was durchdringt, ist Gefühl, Tiefenwahrheit, Existenz, Dasein – Etwas anstatt Nichts.

“Durchbruch” ist insofern falsch, als keinerlei Gewalt angewendet wird, sondern sich nur geöffnet und losgelassen wird (Unterwindung anstatt Überwindung); angesichts der Mauer liegt gleichwohl ein gewisses Aufbrechen vor, das dann Wut- und Schmerz-Schreie verursacht.

Das Subjekt geht der Frage nach, warum es sich selbst verhindert – warum es sich daran hindert, das wahre Leben zu leben und seinen Platz in der Gemeinschaft einzunehmen.

Die Geschichte der Auflösung einer Mauer, mit der sich das Subjekt in ein Nichts und in den Tod einsperrt, die Geschichte einer zögerlichen Öffnung aus schamhafter und peinlicher Verklemmung. Aus Peinlichkeit wird Pein, und das fließende Gefühl – die Verschmerzung – löst die Mauer auf und gibt den Weg frei sowohl zum individuellen als auch zum kollektiven Dasein.

Das Ziel ist das restlose Sich-gehen-lassen im Individuellen, das gleichzeitig das Aufgehen im Kollektiven bedeutet (ähnlich der sexuellen Vereinigung). Ent-Grenzung (totale Ausdrucksfreiheit) steht nicht nur in keinem Widerspruch zur Be-Grenzung (konkrete, bestimmte Gruppe), sondern geht mit dieser einher; beide geschehen und entstehen erst miteinander. Frei-sein und Dazugehören bedingen sich gegenseitig (Zoon politikon). Das Sich-gehen-lassen ist – wenn auch zunächst reiner Selbstzweck – ein Sich-gehen-lassen-zu-etwas.

Die Geschichte wird in sechs statische und dynamische Zustände bzw. Vorgänge (im Video farbig gekennzeichnet) geordnet:

1. Ausgangs- bzw. Ist-Zustand (Unzufriedenheit)

2. Vision, Änderungs-Wunsch und -Ziel, Intuition des Soll-Zustandes

3. Weg zum Ziel: Öffnung

4. Hinderungen beim Erreichen der Ziele

5. Verschmerzung (Veränderungsvorgang)

6. Ergebnis (Fortschritte auf dem Weg zum Ziel)

 

Im einzelnen unterteilen sich die Zustände bzw. Vorgänge wie folgt, auf die neun Anläufe verteilt:

1. Ausgangs- bzw. Ist-Zustand (Unzufriedenheit)

1.1. isoliert, zurückgezogen, kein Anschluß, keine Zugehörigkeit

1.2. gefühllos, eklig, öde, tot

2. Vision, Änderungs-Wunsch und -Ziel, Intuition des Soll-Zustandes

2.1. Lebendigkeit

2.3. Echt-Sein, Da-Sein

2.3. Dazugehören

2.4. Erlösung

3. Wege zum Ziel: Öffnung

3.1. Erörterung: problematisieren, theoretisieren, reflektieren, erzählen Selbstrechtfertigung, Ehrlichkeit, Konstatation

3.2. Entscheidung zur Sprachherausrückung bei schmerzlichen Gefühlen

3.3. Zulassen und Ausdruck von Gefühlen:

    3.3.1. Eigenmotivation, Anfeuerung:

    3.3.1.1. Frustration

    3.3.1.2. Frust-Wut

    3.3.1.3. Bestehen auf

    3.3.1.4. Wut

    3.3.1.5. Haß (Abwehr der aufsteigenden Liebe)

  3.3.2. Spontane, unabsichtliche Gefühle

    3.3.2.1. Heul-Wut

    3.3.2.2. Schmerz-Wut

    3.3.2.3. Angst-Wut

    3.3.2.4. Weinerlichkeit

    3.3.2.5. Oberflächliche Freude: Kichern, Lachen

3.3.3. Tiefe Gefühle (Übergang zur Verschmerzung)

    3.3.3.1. Traurigkeit, Weinen

    3.3.3.2. Schmerz, heftigeres Weinen

    3.3.3.3. Urschmerz, Weinschreie

    3.3.3.4. Tiefere Freude, Weinlachen

3.6. Einholung von Hilfe (positive soziale Anpassung)

4. Hinderungen beim Erreichen der Ziele

4.1. Schwere, Schwäche, Sterben, Tod

4.2. Bewußtlosigkeit

4.3. Spaltung, Verwirrung

4.4. Innere fremde, destruktive Stimme

4.4. Hoffnungslosigkeit, Mauer, Graben

4.8. Steifheit, Verklemmtheit, Panzer

4.5. Arroganz, Verachtung

4.6. Angst, Todesangst

4.7. Peinlichkeit, Scham

4.8. Gefühlsüberlastung (zu schmerzlich)

4.9. Verdrängung, Abwehr

4.10. Selbstzerstörung: Geringschätzung, Selbstentwertung, Selbstvernichtung

4.11. Allein-Sein (negative soziale Anpassung)

5. Verschmerzung (Veränderungsvorgang)

5.1. vollständiges, erschöpfendes Abfließen-lassen des Gefühls und restlose Ausatmung

5.2. Segen

6. Ergebnis (Fortschritte auf dem Weg zum Ziel)

6.1. Bewußtsein

6.2. Wiederverbindung, Verortung

  6.2.1 Aufhebung der Isolierung

  6.2.2. Anschluß ans und Ankommen im Kollektiv

  6.2.3. Erlangung von Zugehörigkeit

6.3. Vertiefung von Gefühlen:

  6.3.1. Liebe

  6.3.2. Empfinden von Schönheit

  6.3.3. allgemeine Lebendigkeit

6.4. Identifikation mit dem Normalen

 

Die Tiefenwahrheit ist keine Psychologie und keine Psychotherapie

Unter “Öffnung” laufen in der Tiefenwahrheit Emotionen, die von Psychologen als das Gegenteil, nämlich ein Verschließen, ein Widerstand gegen eine Öffnung bezeichnet werden: Sie sehen in der Wut z.B. einen Widerstand gegen die darunter liegende Traurigkeit. Einer der Unterschiede von Psychologie und Tiefenwahrheit ist es aber, daß die Tiefenwahrheit keine wissenschaftlich-objektivierende und mechanistische Sicht der Dinge hat, sondern eine phänomenologische und subjektivistische. Und in dieser Sicht ist die Wut eine – wenn auch relativ leicht zu vollziehende – eindeutige Öffnung und kein Widerstand, wie es etwa eine innere fremde und destruktive Stimme oder wie es die Angst ist. Aber auch in diesem Falle benutzt die Tiefenwahrheit den Begriff “Widerstand” nicht, sondern “Hinderung”, weil “Widerstand” wiederum einer objektivierenden Draufsicht entstammt und das Subjekt selbst das, was es von einer Öffnung und Vertiefung abhält, als eine “Hinderung” wahrnimmt.

Die Wut ist sehr wichtig; mit ihr erringt das Subjekt eindeutig Präsenz und gerät für weitere Entwicklungen in Bewegung. Sie ist positiv zu sehen und nicht – wie das in dem Wort “Widerstand” anklingt – negativ.

Eine andere Art der Hinderung ist die Geringschätzung – eine Form der Selbstzerstörung. Gering geschätzt wird dabei sowohl Äußeres, Fremdes als auch Inneres, Eigenes; das ist funktional identisch: Beider Grund ist die unter der Geringschätzung liegende Angst vor Berührung und Schmerz. Auch daß im vorliegenden Audio durchgängig von “Reklame” und nicht von “Werbung” gesprochen wird, ist eine Geringschätzung.

Das entscheidende bleibt jedoch – wenn es um tatsächliche Veränderung geht – das Gefühl, zu dem die Erörterung führt. Wenn also jemand unter ähnlichen Dingen leidet wie den hier genannten (Öde, Schwere, Tod am lebendigen Leibe usw.) und es gibt aber doch hin und wieder Vorkommnisse, die bei ihm eine Art Lebendigkeit auslösen – wie hier eine Werbung für einen Fußballklub –, dann könnte er oder sie in Erwägung ziehen, die ausgelösten Gefühle nicht zu unterdrücken und sie stattdessen wahrzunehmen, sie aufsteigen zu lassen, indem er sie nacherzählt, wie die Versuchsperson es hier getan hat.

Vielleicht wird es ihm auch schwerfallen, mit der Sprache rauszurücken, aber so ist das nun mal: die Verdrängung der Lebendigkeit hat ja ihre Ursachen, und diese Ursachen werden schmerzlich gewesen sein – sonst gäbe es keinen Grund zu ihrer Verdrängung. Mit der Sprache herauszurücken kann in vielen Anläufen geschehen – wie im vorliegenden Fall. Es gilt immer wieder, sich den dicken Mauern zu nähern und diese tapfer mit kleinen Schritten anzugehen und nach und nach aufzulösen. Der Rote Faden der Erzählung ist dann ein sicherer Führer. Man muß es nur auszusprechen versuchen und sich emotional reagieren lassen. Wenn man es nicht kann, muß man darüber sprechen, daß man es nicht kann. Bei der Erörterung der Frage, warum man es nicht kann, kommt alles in Bewegung..
.
.
.