Kommentar zu “Dugin Heimat” 1. Teil: Annäherung ans Dorf


Text-Version

(Video: Youtube, Odysee, Bitchute, Rumble)

 

I. Zyklus

In diesem Zyklus entfällt noch die 5. Etappe (Heimatanbindung), da es bis dahin auch noch nicht zu einer Verschmerzung gekommen ist. Die Heimat löst noch zu viel Schmerz aus, der noch nicht verschmerzt werden kann. Es ist derselbe Schmerz, der in Vereinzelung und Isolation getrieben hatte.

II. Zyklus

Der entscheidende Moment ist immer der der Öffnung: wo man die Tiefenwahrheit und Gefühle zuläßt. Bis dahin gilt: Ich will das alles nicht sehen oder nicht fühlen. Aber die Frustration ist sehr unangenehm und treibt einen dann doch in die Öffnung: Aber dann bin ich so tot, das ist ja auch nicht gut, das will ich ja auch nicht. Man ist in einem Widerstandskampf gegen die Wahrheit und in einem Zwiespalt gefangen: schmerzliche Gefühle zulassen oder in der Leblosigkeit (sprich: weiter in der Frustration) bleiben. Der Ausgang aus diesem Stillstand liegt in einem Gefühl, das man in diesem Moment zulassen kann (und muß), nämlich das der Frustration: Scheiße, ich hasse alles.

Die wenigen Momente von Liebe hat man auch verdrängt, weil sie an die große Abwesenheit erinnern, und jetzt nähert man sich in der Vorstellung bzw. in der Erinnerung langsam dem Ort dieser Liebe, und zwar ganz konkret auf der Straße, die zum Haus der Großeltern führt. Jetzt wird die Szenerie des Ortes erinnert und das Gefühl aktiviert. Um das Gefühl ganz zulassen zu können, bedarf es noch einer Hilfe: Das Gefühl einer echten Gemeinschaft muß heraufbeschworen werden (der Wahrheitsbegleiter wird zum “alten Kumpel”).

III. Zyklus

Es ist alles ein Elend, alles ist ein Elend. Es ist so unermeßlich, so bodenlos eigentlich. So bodenlos, das ganze Elend. Eigentlich schaue ich in einen Abgrund hinein. Eigentlich ist da ja gar nichts.

Elend hatte früher die Bedeutung von “anderes Land, Fremde, Verbannung”. Im Elend hat man kein Land, keinen Grund, ist man bodenlos. Man fühlt sich keiner Heimat zugehörig. Elend ist der Nicht-Ort, die U-Topie.

Wenn man nicht da ist, hängt man in der Luft, im Geist, im Himmel, in der Transzendenz.

Aber man bekommt keinen Boden unter die Füße, indem man z.B. bioenergetische Übungen nach Alexander Lowen (einem neu-reichianischen Mode-Therapeuten und Autor aus den 70ern und 80er Jahren) macht, durch die “Energie” in die Füße fließen und Kontakt mit der Erde hergestellt werden soll. Bodenhaftung, Bodenständigkeit und Heimatverwurzelung haben eigentlich gar nichts mit dem Boden zu tun, sondern rühren von der riesigen Abwesenheit einer gefühl- und liebevollen Beziehung und Bindung her. Diese Abwesenheit wird als Abgrund, also Grundlosigkeit empfunden – und als komplette Loslösung oder völlig leerer Raum, in dem man herumfliegt (Major-Tom-Symptom). Ungeliebt-sein heißt, nicht da zu sein, nicht in der Welt und nicht auf der Erde zu sein.

Bei der Verschmerzung der Bindungslosigkeit erscheint dann wieder der Ort des Geschehens und die Wege, auf denen man ging und geht: durch das wiedererlangte Gefühl für die Richtigkeit zwischenmenschlicher Beziehung erscheint auch wieder der Boden und die Landschaft, auf dem und in der diese Beziehung hätte stattfinden sollen. Dadurch wird diese Stelle der Welt wieder beseelt und ein Heimatgefühl entsteht. 

Wenn es keine liebevolle Beziehung und keine Kommunikation gibt – “Energie” zwischen Menschen fließt –, dann kommt es zu einem Abwesenheitsgefühl: Und wenn das nicht so ist, dann ist man eben nicht da. Es ist so, als ob man alleine für sich gar nicht sein kann.

Diese Beobachtung ähnelt Alexander Dugins Kritik an Liberalismus und Individualismus. Dugins Kritik, so treffend sie ist, geht aber – wie Marxens Verelendungstheorie – im Hinblick auf eine Unterwindung des Individualismus nicht tief genug und läßt das ganze Reich der Gefühle unberücksichtigt. Nur diese können für ein Eingebettetsein des Einzelnen in ein Kollektiv sorgen, nur mit diesen kann die erlittene Abwesenheit verschmerzt und der Einzelne wieder vollwertiger Teil einer lebendigen Gemeinschaft werden.